Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
, schrie jemand, und mein Herz schien stehen zu bleiben. Sunya hörte sich atemlos an, als sei sie meilenweit gerannt, um mir zu Hilfe zu eilen. Der Gedanke machte mich froh und sauer zugleich. Du bist ja so ein Weichei , sagte Daniel jetzt, und die anderen riefen Ja und voll schwul . Daniel wartete, bis sie ruhig waren. Lässt sich von einem Mädchen verteidigen, anstatt gegen mich anzutreten wie ein Mann. Dashörte sich so doof an, dass ich gelacht hätte, wenn ich nicht solche Angst gehabt hätte, dass sie mich verprügeln würden. Männer tragen keine Armbänder aus Gänseblümchen , schrie Sunya, und die anderen machten Ooooh . Darauf fiel Daniel nichts mehr ein. Ich drehte mich um. Sunya hatte die Hände in die Hüften gestützt, und ihr Kopftuch flatterte im Wind. Girl M.
Egal , seufzte Daniel, als sei er tödlich gelangweilt. Aber sein Gesicht war so fahl wie seine hellen Haare, und er wusste, dass er verloren hatte. Und dass ich es auch wusste. Er starrte mich so böse an, dass es mir kalt den Rücken runterlief. Macht doch, was ihr wollt, ihr beiden Loser, sagte er und ging weg. Er lachte übertrieben laut, als Ryan einen Witz erzählte. Und dann waren nur noch Sunya und ich übrig, und es war so still, als hätte man am Fernseher den Ton ausgeschaltet.
Ich wollte sagen Du bist mutig und Danke . Vor allem wollte ich sie fragen, ob sie meinen Klebknetering noch hatte, aber die Worte blieben mir im Hals stecken wie der Hühnerknochen, den ich mit sechs mal verschluckt hatte. Das schien Sunya aber nichts auszumachen. Sie lächelte mich an, und ihre Augen glitzerten. Dann deutete sie auf ihr Kopftuch und rannte weg.
Zum ersten Mal, seit Mum nicht mehr bei uns ist, bin ich froh darüber. Heute Abend will der Direktor nämlich bei uns zuhause anrufen. Diebe werden an unserer Schule nicht geduldet , hat er gesagt. Und Mrs. Farmer hat meinen Engel von Wolke eins nach unten in die Ecke gesetzt.
Es ist nach der Mittagspause passiert. Daniel und Ryan meldeten, ihre Uhren seien gestohlen worden. Dann sagten Alexandra und Maisie, ihre Ohrringe seien auch verschwunden. Erst dachte ich mir nichts weiter dabei. In London passiert so was ständig. Aber hier schien das eine echt große Sache zu sein. Alle waren ganz erschrocken, und Mrs. Farmer sprang vom Stuhl auf. Die beiden Haare auf ihrem Muttermal schienen so stramm zu stehen wie Soldaten.
Wir mussten alle unsere Schubladen ausräumen und unsere Hosentaschen umdrehen. Dann mussten wir unsere Sportbeutel ausleeren. Die verschwundenen Sachen fielen aus meinem. Sunya fluchte so laut, dass sie vor die Tür geschickt wurde. Und ich musste mit Mrs. Farmer zum Direktor.
Gottes Auge sieht alles, sagte Mrs. Farmer, als wir auf dem Weg zum Büro des Direktors durch die Bücherei gingen. Auch wenn wir glauben, alleine zu sein, werden wir von Gott gesehen . Ich hoffte sehr, dass das nicht stimmte, weil ich an meine Aufenthalte auf dem Klo denken musste. Mrs. Farmer blieb vor den Sachbüchern stehen und sah mich an. Sie blinzelte, und ihr Atem roch nach Kaffee. Ich bin sehr enttäuscht von dir, James Matthews , sagte sie und wedelte mit ihrem dicken Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. Ich bin schockiert, und ich bin enttäuscht. Wir haben dich in unserer Schule, unserer Gemeinschaft, willkommen geheißen, und solche Dinge mögen ja in London an der Tagesordnung sein, aber hier … Ich stampfte so heftig mit dem Fuß auf, dass die Bücherregale wackelten und Elektrizität leicht gemacht herausfiel. Ich war es nicht, schrie ich. Ich hab es nicht getan . Mrs. Farmer stülpte die Lippen vor. Wir werden sehen.
Wenn ich wirklich etwas stehlen wollte, wäre ich nicht so blöd, die Sachen in meinen Sportbeutel zu stecken. Ich würde sie in meiner Hose verstauen und mit nach Hause nehmen. Das versuchte ich, dem Direktor zu erklären, aber es misslang mir irgendwie, und ich hörte mich an wie ein Perverser.
Sunya wartete auf mich, als der Unterricht aus war. Sie saß vor dem Büro des Direktors. Daniel hat dich reingelegt sagte sie, und ich antwortete Ich weiß . Ich war plötzlich sauer auf sie. Wenn sie Daniel nicht wütend gemacht hätte, dann hätte er seine Uhr nicht in meinen Sportbeutel gesteckt, und ich hätte jetzt nicht solchen Ärger. Sunya versuchte, was Nettes zu sagen, aber ich schrie nur Lass mich in Ruhe und rannte weg, obwohl auf dem Schild im Flur steht, dass man langsam und leise gehen soll.
Ich rannte fast den ganzen Weg, weil ich Angst hatte, dass der Direktor
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