Meine Schwester und andere Katastrophen
Mülltüte hinter sich her.
» Keine Frauenarbeit, aber nein, ich muss verflucht noch mal alles selbst erledigen - Lizbet! Hallo! Komm doch auf einen Kaffee rein.« Sie hievte den Müllsack in die Tonne wie Atlas, der die Weltkugel fallen lässt. »Wir haben eine neue Espressomaschine - sie mahlt die Bohnen bei jeder Tasse frisch - ich habe zu John Lewis gesagt« - Tabitha sprach von John Lewis , als wäre der Laden ein uralter Freund - »›Ich brauche eine Maschine, die das letzte Tröpfchen Koffein aus jeder Bohne wringt‹, und da hat mir die Frau dieses Ungetüm empfohlen! Es kostet über tausend Pfund - Jeremy war nicht gerade begeistert -, aber es ist sein Geld wert. Für mich ist es eine Investition, um mich wachzuhalten. Süße, du bist so still.«
»Es geht schon«, sagte ich. Und hätte um ein Haar hinzugefügt: »Nur dass Tim kein Kind von mir möchte, ich werde also keine Kinder bekommen, mein Lebensrad eiert zur Zeit ein bisschen …«, schwieg aber lieber. Schließlich war ich dreiunddreißig, keine drei. Um genau zu sein, würde ich bald vierunddreißig werden. Ich musste mich endlich dazu durchringen, mein Leben so zu leben, wie es war, nicht wie es hätte sein können.
»Ich habe am Sonntag Geburtstag«, sagte ich stattdessen.
Tabitha wusch sich die Hände in ihrer Keramikspüle, trocknete sie an einer Küchenrolle ab und starrte in eine dicke Bedienungsanleitung. Nach einer Minute sah sie auf.
»Geburtstag!«, rief sie. »Oh, ich liebe Geburtstage! Was hast du vor?«
Tabitha legte größten Wert auf Geburtstage, vor allem auf ihren eigenen. Jeremy musste jedes Mal den roten Teppich ausrollen - ein edles Abendessen im Restaurant, Flaggenparaden, Feuerwerk über der Themse, was auch immer -, sonst setzte es was. Wohingegen ich das Gefühl hatte, dass Tabitha allmählich in das Alter kam, in dem man die Feiern kleiner halten sollte.
Ich sagte: »Letztes Jahr waren wir am Meer.«
Das war eines unserer Gesetze. Am Geburtstag wird nicht gearbeitet. Nie! Ich hatte mir freigenommen, und Tim hatte uns an die Botany Bay in der Nähe von Margate gefahren. Es gab dort einen bezaubernden, nicht allzu überlaufenen Sandstrand, an dem jeder hinter seinem Windschutz saß und Hotdogs aß. Alle Männer hatten Tattoos und die meisten Frauen auch. Alle waren braun, außer mir, und ich fragte mich, ob ich wohl die Einzige war, die den Sommer fast ausschließlich drinnen verbrachte. Tim fragte mich, ob ich einen Kaffee wollte - es gab eine kleine blaue Hütte im Eck, wo man Essen und Getränke kaufen konnte -, und ich sagte: »Nur wenn es Filterkaffee ist.«
Tim hatte gelacht und gesagt: »Lizbet. Sieh dich um.«
Ich hatte mich umgesehen und meine mittelständische Zickigkeit gespürt wie eine Beule im Nacken. So war Tim eben - er neckte mich, aber ohne jede Boshaftigkeit. Das war das Problem mit mir: Ich wirkte locker, aber man musste viel Geduld mit mir haben.
»Das Meer!«, rief Tabitha, warf die Bedienungsanleitung beiseite und fasste nach der Kaffeekanne. »Eine Superidee! Wir fahren alle mit! Ein Familienausflug! Ich backe einen Kuchen - na ja« - sie seufzte und wich meinem Blick aus -,
»wahrscheinlich kaufe ich einen, um ehrlich zu sein. Ich habe in letzter Zeit keine freie Minute. Auch das stimmt nicht ganz. Ich habe mindestens viermal am Tag eine freie Minute. Aber ich brauche mehr Zeit. Ich bräuchte, sagen wir mal, viermal zwanzig Minuten täglich.«
Ich hatte das Gefühl, dass Tabitha unzufrieden war. Vielleicht war es auch etwas anderes. Vielleicht brauchte sie jemanden, der ihr den Rücken stärkte. Mir war klar, dass sie ihre Kinder über alles liebte, aber sie wurde ihnen nicht immer gerecht. Plötzlich dachte ich an Vivica und sah sie in einem ganz neuen Licht. Als kleines Mädchen war ich bekannt gewesen für meine Komplimente, vor allem an meine Mutter.
»Vivica, dein Kleid ist schön.«
»Vivica, ich hab dich lieb.«
»Vivica, das sind schöne Schuhe.«
»Vivica, ich hab dich wirklich lieb, Vivica.«
Worauf Vivica jedes Mal gepresst und mit angespannter Miene geantwortet hatte: »Danke, Schätzchen. Ich hab dich auch lieb.«
Solange ich meine Mutter nicht direkt darauf ansprach, bekam ich nie ein Kompliment von ihr. Wenn ich es tat, konnte ich eines aus ihr herauskitzeln, aber die verkniffene Miene stellte sich bald wieder ein. Vielleicht wollte sie mit uns, den Kindern, einfach alles perfekt machen und war ewig enttäuscht, dass wir als ganz normale Kinder jede Hoffnung auf
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