Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
ist, als hätte ich’s gesagt.
Espe schaut mich an, als würde er mich fragen, in welcher Welt ich lebe. »Du meinst also, ich hätte zwei tolle Weiber von dem Kaliber hinhalten sollen, bis Papa Malinconico sich bequemt, ja oder nein zu sagen?«, fragt er sarkastisch.
Angewidert grinse ich ihn an, breite meine Arme aus, lasse sie wieder runterplumpsen und unternehme einen sinnlosen kleinen Spaziergang vom Schreibtisch zur Tür und wieder zurück.
Ungefähr bei der dritten Runde sagt er: »Mensch, Vince’, seit wann bist du denn so ein Lahmarsch geworden?«
Wie angewurzelt bleibe ich stehen, fixiere Espe – und sehe ihn plötzlich mit ganz neuen Augen. Er mag zwar ein abgefeimter Lumpenhund sein, aber auf einmal scheint er mir recht zu haben.
»Gibt es denn tatsächlich keine anderen Ziele, auf die du deine Energien richten kannst?«, rudere ich zurück.
»Du hast recht. Morgen werde ich Mitglied bei Greenpeace und melde mich als Freiwilliger zur nächsten Sabotagetour gegen die Walfänger.«
»Du bist siebenundvierzig, Mann!«
»Das ist kein Hinderungsgrund.«
»Und dann noch diese Wampe. Echt, Espe!«
»Du kapierst aber auch gar nichts. Die Frauen mögen das.«
»Deshalb stehn sie da draußen auch schon Schlange.«
»Hör mal, lass uns hier und jetzt mal einen Punkt klären, okay? Du bist nicht verpflichtet, sie flachzulegen, okay? Ich weiß, du willst deiner schönen Anwältin treu sein.«
Mir vernebelt sich die Optik.
»Was ist mit dir?«, fragt Espe.
Ich schüttle den Kopf.
Und er komplettiert begeistert seine Vorschau aufs Abendprogramm: »Du begleitest mich bloß, unterhältst sie ein bisschen, und ich sehe zu, dass ich mit einer davon zu Potte komme.«
Ich hebe den rechten Zeigefinger, um ihm zu bedeuten, dass er mir kurz Zeit geben soll, damit ich ihm folgen kann.
»Also wenn ich recht verstehe, soll ich den Hanswurst machen und erzählen, wie schwer das Abenteuer war, und du baggerst dir derweil eine an (vermutlich die Doppelgängerin von Jennifer Lopez). Und wenn ihr dann zu dir nach Hause geht, sitze ich mit Anna Karenina oder wie sie heißt allein da und sag zu ihr: ›Entschuldige bitte, du siehst fantastisch aus und du gefällst mir total, aber ich will meine Lebensgefährtin nicht betrügen‹?«
»Du bist nicht verpflichtet , ihr das zu sagen.«
»Richtig«, antworte ich zu meiner Überraschung.
»Genau.«
»Hm. Genau«, bestätige ich wie ein Trottel.
Danach schweigen wir beide ein Weilchen.
»Und?«, meldet Espe sich erwartungsgemäß zurück.
»Und was?«
»Herrgott nochmal, Vince’! Ja oder nein? Du lässt dir diese verdammte Antwort ja ganz schön aus der Nase ziehen!«
Meine Gedanken schweifen ab und mir tritt die Szene von heute Morgen vor Augen:
Wie Alessandra Persiano mit einer Hand letzte Kleinigkeiten in ihren Rollkoffer stopft, weil sie mit der anderen das Handy ans Ohr hält.
Wie sie die Nummer des gerade gerufenen Taxis laut wiederholt.
Wie sie den Koffer schließt und zu mir kommt, der ich ihr vom Bett aus passiv zuschaue.
Wie sie mir ein fades Küsschen auf die Wange drückt und sagt: ›Ich ruf dich später an.‹
»Lass mir zwanzig Minuten Zeit, ja?«, sage ich.
»Auch das noch«, meckert Espe, als ob er mir nicht schon genug entgegengekommen wäre.
»Ich würde gern die Zeitungen lesen, wenn du nichts dagegen hast«, sage ich und greife mir den Stapel.
»Ich kann dir gern eine Zusammenfassung geben.«
»Aaah!«
Blues
Überall steh ich drin: ›Repubblica‹, ›Corriere‹, ›Mattino‹, ›Stampa‹, ›manifesto‹, ›Unità‹, ›Messaggero‹, außerdem in etlichen Blättern, von deren Existenz ich gar nichts wusste, und in anderen, von denen ich nie und nimmer gedacht hätte, dass ich sie mir eines Tages wirklich kaufen würde.
Einhellig wird mein Fernsehauftritt als mustergültiges Beispiel für Zivilcourage gefeiert, als ›Feier des Rechtes auf Verteidigung als Wert an sich, nicht die bloße Wahrung eines Parteiinteresses‹ (›La Repubblica‹); als ›überraschende Probe emotionaler Klarheit und dialektischen Improvisationsvermögens, die es schafft, das Blatt zu wenden, als alles schon verloren scheint‹ (›Corriere della Sera‹); die ›begründete Hoffnung, dass man in der unverhofften Wahrnehmung des Anderen die eigene Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft erkennt‹ (›Unità‹); ich finde in den Blättern sogar ein ethisches Vorbild für meinen Berufsstand: ›Hier könnt ihr sehen, was ein echter Pflichtverteidiger
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