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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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unabhängig geben), wenn mir also alles aus dem Ruder läuft, wenn ich kaputt bin und nicht weiß, wie ich mich reparieren soll, wenn ich Teile verliere und mir nicht mal die Mühe mache, herausfinden zu wollen, wo sie abgeblieben sind, dann hilft nur eins: Ich muss etwas ganz anderes machen und abwarten, dass der ganze Mist vorbeigeht wie ein Schnupfen.
    So unverantwortlich es scheinen mag (und so unverantwortlich es zweifellos auch ist ): Ich finde, dass Aussteigen als Problemlösungsstrategie ziemlich gut funktioniert.
    Du musst nur die richtige Art des Aussteigens finden. (Auch Aussteigen ist nämlich eine Aktivität und erfordert Einsatz und Methode. Man steigt nicht einfach aus und verplempert die Zeit. Irgendwas muss dein Interesse erregen, damit du beim Ausstieg bleibst, sonst machst du dir immer wieder dieselben Gedanken.)
    Und wie hätte ich mir in einer schwierigen Situation wie meiner derzeitigen das Private besser aus dem Kopf schlagen können als durch die Betrachtung der Auswirkungen meines Fernsehauftritts?
    Wenn man zur öffentlichen Person wird, hat man das Privileg, ein neues Leben geschenkt zu bekommen und mit einem gewissen Vorsprung an den Start zu dürfen.
    So kann man die Tiefschläge ausgleichen, die man im Privatleben einstecken muss.
    Bist du deprimiert, weil dich deine Partnerin verlassen hat?
    Dann lies, was die Zeitungen über dich schreiben, und schon siehst du dich als einen anderen.
    Als einen, der zwar genauso heißt wie du, dem man deinen Kummer aber nicht ansieht.
    Als einen, der redet und lächelt, also würde bei ihm alles glattgehen.
    Der geistreiche Bemerkungen macht.
    Der auf sich selber keinen Pfifferling geben würde, aber die Wertschätzung der anderen erntet.
    Der genau weiß, dass er nicht auf der Höhe von dem ist, was er sagt – der es aber trotzdem sagt.
    Um auf mein Beispiel zurückzukommen:
Wenn du dich seit gut einem halben Jahr unausstehlich findest und dir selber am liebsten aus dem Weg gehen würdest;
wenn die Beziehung zu deiner Partnerin nach einer zermürbenden Folge von Aufs und Abs an dem Punkt angelangt ist, wo du ihr vom Bett aus zuschaust, wie sie den Koffer packt;
wenn deine Exfrau neuerdings Unterhaltszahlungen verlangt, nur um dir vorzuführen, dass du sie nicht erbringen kannst;
wenn du bei deiner Arbeit von Tag zu Tag tiefer in die Warteschleife rutschst (mit dem kleinen Unterschied, dass du theoretisch einem freien Beruf nachgehst) …
    … also dann ist doch klar, dass du, wenn sich dir die Möglichkeit bietet, gern in eine neue Identität schlüpfst.
    Deshalb denke ich ja auch, wenn ich in den Zeitungen nur immer wieder meinen Namen lese, dann löst das bei mir dieses charakteristische Enteignungsgefühl aus, von dem alle sprechen, die die Erfahrung gemacht haben. Ich stelle es mir als eine Art Destabilisierung vor – etwa so, als wenn du zwanghaft an ein bestimmtes Wort denkst, das nach kurzer Zeit aber in deinem Hirn zu zerbröckeln beginnt. Das nach und nach seine Bedeutung und den semantischen Zusammenhang verliert und zu einem geistlosen Buchstabenhaufen wird (ein virtueller Zerfallsprozess, das war’s, was mir vorschwebte). Ich hoffe, dass ich – wenn mich namhafte Leitartikler erwähnen – vor lauter Zufriedenheit zuletzt noch selber dran glaube: Ein anderer Malinconico ist möglich.
    Und dass dann endlich der Urlaub anfängt.
    Aber so läuft das offenbar nicht, stelle ich fest.
    Je mehr ich über mich in der Zeitung lese, desto mehr komme ich mir wie ich selber vor. (Und die Bretter des BILLY -Regals mir gegenüber sind schon seit Monaten verzogen und immer noch habe ich keine Lust, sie auszutauschen. Und obwohl es noch nicht mal neun ist, will ich schon eine rauchen. Und ich hab auch nicht das Gefühl, heute klüger zu sein als gestern. Und die Zeit, von der ich dachte, sie würde ein wenig langsamer ablaufen, um – wie es in dem alten Stück von den Rolling Stones heißt – auf meine Seite zu kommen, bleibt derselbe Scheibenwischer wie eh und je und blättert vor meinen Augen die Tage runter.)
    Da drängt sich mir schon die Frage auf, ob es nicht besser wäre, wenn überhaupt nie etwas passieren würde und das Leben nur aus Monotonie und Wiederholung bestünde.
    Ob die Veränderungen, die man immer herbeisehnt, sich in der Praxis nicht als großer Reinfall erweisen.
    Wisst ihr was?
    Ich will der bleiben, der ich bin. Mitsamt meinen Defekten.
    Ich habe die Nase voll von dem unterschwelligen Schuldgefühl, immer denken zu müssen,

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