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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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mit dem Kerl? Dann sag es, verdammt nochmal. Klär uns auf, wer er ist, und hör auf, dumme Spielchen mit uns zu spielen. Wir müssen uns jetzt schon geschlagene zwanzig Minuten deine Reality-Show in diesem gefakten Fernsehstudio reinziehen – meinst du nicht, so langsam wäre es mal Zeit für den Vorspann?‹
    Als ob er mich gehört hätte, wandte sich Ingenieur Romolo Sesti Orfeo an Matrix und antwortete auf die provokante Frage, die ich ihm im Geiste gestellt hatte:
    »Das war mein Sohn«, sagte er.
    Matrix rang nach Luft und seufzte, wie ein Angeklagter, der gerade das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß vernommen hat.
    ›Aha‹, dachte ich. ›Er macht Matrix also für den Tod seines Sohns verantwortlich.
    Na super, wieder eine von diesen komischen Geschichten, auf die man sich keinen Reim machen kann.‹
    Dass das immer mir passiert! Mittlerweile glaube ich wirklich nicht mehr an Zufall. (Mein einziger Trost ist, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat und seine speziellen Schwierigkeiten kennt, die immer wieder und nur bei ihm auftreten, dafür aber in schöner Regelmäßigkeit. Davon bin ich tief und fest überzeugt.)
    Mein ganz persönliches Päckchen besteht darin, dass ich dem, was um mich herum passiert, oft nicht folgen kann. Seitdem ich angefangen habe, in den Gerichten aus- und einzugehen (der Plural ist hier rhetorisch, denn eigentlich verkehre ich in bloß einem Gericht und das, ehrlich gesagt, auch nicht besonders oft), seitdem erwischt mich die Wirklichkeit immer wieder vollkommen unvorbereitet (oder vielmehr auf dem falschen Fuß).
    Wie bei meiner ersten Hauptverhandlung in einem Strafverfahren. Ich saß auf den Zuschauerbänken und verstand die Welt nicht mehr. Das, was da vorne abging, hatte nichts mit der Theorie zu tun, die ich an der Uni studiert hatte – und ich verstand nur Bahnhof. Hier, in diesem Gerichtssaal, wurde ich frontal mit dem Kopf auf die Realität gestoßen. (Es fühlte sich etwa so an, als müsstest du, aus einer Familie kommend, in der immer korrekt Italienisch gesprochen wurde – mit haufenweise Konjunktiv und allen Finessen –, auf einmal Dialekt lernen. Und diesen gleich ausprobieren, zwischen Richtern, die stöhnen, Angeklagten, die depressiv sind, und Rechtsanwälten, die sich oberschlau vorkommen.)
    Wovon ich spreche?
    Vom Stillstehen, während alles fließt. Vom Zuschauen, ohne zu kapieren. Davon, dass du niemanden um Erklärungen bitten kannst, ohne gleich dazustehen wie der letzte Blödmann. Davon spreche ich. Das fühlt sich ein bisschen so an, als wärst du der Einzige in der Runde, der den Witz nicht kapiert, weil du einen Moment lang nicht aufgepasst hast, was du aber sofort kompensierst, indem du eifrig in das Gelächter der anderen einfällst, um dich nicht ausgeschlossen zu fühlen. Nach einer Weile tun dir dann sämtliche Gesichtsmuskeln weh – weil man eben nicht auf Kommando lachen kann und die Fröhlichkeit furchtbar anstrengend ist –, du hältst dir eine Serviette vors Gesicht, um dich notdürftig dahinter zu verstecken, und wartest sehnsüchtig darauf, dass der Gruppenlachanfall von selbst wieder abebbt. Aber du hast keine Chance: Der Spaß läuft aus dem Ruder, alle klopfen sich lautstark gegenseitig auf die Schultern – einer hat seinem Gegenüber sogar Wasser ins Gesicht geprustet –, und du konzentrierst dich manisch auf die aus dem unbekannten Witz stammenden Satzfetzen, die unter Prusten und Glucksen wiederholt werden – denn du willst ja das Thema erfassen, das dieses komische Genie von Witzeerzähler da aufgebracht hat –, aber inzwischen hat die kollektive Aufregung schon in einem anderen den Komiker wachgekitzelt. Der hat bereits den nächsten Witz erzählt – den du vor lauter Panik natürlich auch verpasst hast –, und wieder schallendes Gelächter. Und du, an dem alles vorbeigegangen ist, tust notgedrungenerweise schon wieder so, als würdest du lachen, und immer so weiter, bis du irgendwann nicht mehr kannst, mit Krämpfen in der Kinnlade aufstehst und in Richtung Toilette wankst. Dort wäschst du dir dreimal hintereinander das Gesicht, siehst aber immer noch vollkommen verzweifelt aus, wie du bei einem Blick in den Spiegel feststellst.
    Ich weiß nicht, ob ihr jetzt eine klare Vorstellung davon habt, was ich sagen möchte.
    Ich spreche vom Ausschluss aus einem bestimmten Zusammenhang.
    Von Marginalisierung, während die Dinge sich entwickeln.
    Von dem klaren Gefühl, nicht anpassungsfähig und zudem außerstande

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