Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
abzukürzen.
»Exakt«, bestätigte Ingenieur Romolo Sesti Orfeo.
»Allerdings nicht auf die Carabinieri, tippe ich«, hakte ich nach. Klassische Gesprächseröffnung.
Der Ingenieur musterte mich mit einem Holla-du-bist-aber-auf-Zack-Blick.
»Genau.«
»Auf wen denn?«
»Was glauben Sie denn?«
Jetzt stach mich der Hafer.
»Sagen Sie mir den Anfangsbuchstaben, dann komm ich alleine drauf.«
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo machte eine Kampfpause, aber weil ihm der Scherz gefiel und er ums Haar gelacht hätte, antwortete er mir.
»Das Fernsehen.«
Jetzt kam Matrix beim besten Willen nicht mehr mit.
Ich auch nicht.
Obwohl mir die Idee seltsamerweise alles andere als unvorhersehbar vorkam, dachte ich kurz darüber nach.
»Noch mehr Kameras?«, fragte ich.
»Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich das alles hier nur für eine Privatvorführung aufgebaut habe?«
»Vorhin haben Sie von Prozessen gesprochen.«
»Richtig.«
»Was schwebt Ihnen vor? Das Strafgericht auf RTL ?«
Er schüttelte den Kopf: »Das ist aufgezeichnet.«
In dem Augenblick kam Matteo mit dem Paketband zurück. Ingenieur Romolo Sesti Orfeo winkte ihn mit dem Kopf zu sich her und wandte sich dann wieder an mich. »Wir senden live.«
Wir schauten einander in die Augen.
Und hier beginnt die Show.
Misunderstanding
Ich war mir ziemlich witzig vorgekommen, als ich ihr diese Flasche gekauft hatte und mir dabei alle Facetten ihres Mienenspiels beim Auspacken ausmalte. Witzig, sarkastisch und irgendwie unwiderstehlich. Wie damals, als ich einem Klassenkameraden, der in der Turnhalle beim Wichsen erwischt wurde, eine Zehnerpackung Tempotaschentücher schenkte (was ungefähr genauso geschmackvoll war, wie einem Freund, der sich beim Skilaufen gerade beide Beine gebrochen hat, einen Heimtrainer zu schenken).
Genau so ein Geschenk war die Flasche.
Ich nahm an, sie würde laut auflachen und mich dann dorthin schicken, wo der Pfeffer wächst. Würde mir sagen, ich sei so beknackt wie eh und je – wofür sie mich ja immer ganz besonders gemocht habe – und eine bessere Idee für ein Mitbringsel hätte ich gar nicht haben können. Wenigstens sei das hier endlich mal kein vor falschem Mitleid triefender Besuch wie die Besuche ihrer Freundinnen. Die seien im Grunde nämlich hocherfreut über die Nachricht, dass sie schon vor ihnen mit einem Fuß im Grab stünde.
Klar, nach der witzigen Vorrede würde sie sich bestimmt auf die Lippen beißen und sich in unausdenklichen Gedanken der Kategorie ›Da ist kein Hoffnungsschimmer am Horizont‹ verlieren – daran hatte ich keine Zweifel – ; aber ich würde einfach ihre Hand in meine legen und mich in Plattitüden flüchten. So was wie DubisteinestarkeFrauundduwirstesschaffen, oder InmanchenSituationenkommteineEnergieindirhochvonderdunochgarnichtswusstest oder DuweißtdochheutestirbtmananKrebsnichtmehrsowiefrüher und so weiter; denn es ist klar, dass Besuche bei kranken Leuten (wenn die kranken Leute wissen, warum du sie besuchen kommst zumindest) nicht mehr und nicht weniger als Abschiede sind.
Meinen Kindern, die so tapfer waren, mich zu begleiten, hatte ich so lange nichts verraten, bis wir den Kaffee-Wein-Rum-Grappa-Laden bei mir um die Ecke betreten hatten (wo ich, ganz nebenbei bemerkt, Stammkunde bin). Und als ich dann auf den Jack Daniel’s gezeigt und dazu noch um eine Geschenkpackung gebeten hatte, hatten sich die beiden alarmiert angeschaut, da sie meinten, verstanden zu haben, für wen das fragliche Alkoholgeschenk bestimmt war.
»Kommt dir das passend vor?«, fragte mich Alfredo, sobald wir aus dem Kaffee-Wein-Rum-Grappa-Laden draußen waren.
Alagia sagte nichts, schaute mich aber vorwurfsvoll an. Ich fühlte mich irgendwie stigmatisiert.
»Ey Kinder, jetzt lasst mal gut sein. Müssen wir uns jetzt schon an den runden Tisch setzen, um zu beschließen, was wir Großmutter schenken?«, fragte ich leicht gereizt.
»Papa, alles was recht ist, aber das ist eine beknackte Idee«, befand Alf.
Das konnte ich ihm auf keinen Fall so ohne weiteres durchgehen lassen.
»Das muss gerade einer sagen, der Mariä-Himmelfahrt in einem Roma-Camp zugebracht hat, nur damit er einen Erfahrungsbericht ins Internet stellen kann«, schoss ich zurück. »Wusstest du vielleicht nicht, wohin in den Ferien?«
»Du weißt genau, dass das für eine Reportage war«, antwortete Alf pikiert, aber wenigstens mit einer Spur von schlechtem Gewissen in der Stimme. »Die Roma hab ich eben kennen gelernt, wir haben
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