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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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der nach irgendeiner Stelle sucht, in die er seine Zähne rammen kann. Von Zeit zu Zeit hob er einen Fuß und traf den Ingenieur mit dem Knöchel am Unterbauch.
    Ich hielt es nicht mehr aus und wollte gerade losstürzen, als Matrix den Kopf hob und Matteo den Wurstwarenverkäufer anherrschte:
    »Du da! Nimm die Pistole!«
    Der Angesprochene antwortete mit der entgeisterten Loser-Miene der Hinterbänkler (groß, schlaksig mit Pony und Rollkragenpulli, du weißt schon), wenn sie vom Lehrer unvermittelt aufgerufen werden und erst einmal mit dem Finger auf sich selbst deuten, um die erste Schrecksekunde abzufedern und sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich gemeint sind. (Die sind wirklich unglaublich, diese Typen – erinnerst du dich? Gingen jahrelang praktisch inkognito in deine Klasse, und irgendwann, wenn es einem Lehrer endlich gelang, sie zu orten und abzufragen, benahmen sie sich wie festgenommene Flüchtlinge. Ich selbst erinnere mich auch noch an ein paar von denen – allerdings und naturgemäß nicht mehr an ihre Namen.)
    »Hast du verstanden, du Arsch?«, wies Matrix ihn zurecht, da Matteo der Wurstwarenverkäufer kein Lebenszeichen außer blankem Staunen zeigte. »Setz dem Arsch hier die Knarre an den Schädel und mach mich los, wird’s bald!«, befahl er.
    »Wie bitte?«, sagte ich.
    Wenn ich angeben müsste, was meiner Meinung nach der absolute Tiefpunkt dieser absurden Geschichte war, würde ich sagen: als Matrix Matteo dem Wurstwarenverkäufer befahl, die Pistole an sich zu nehmen und sie gegen Ingenieur Romolo Sesti Orfeo zu richten, damit der ihn von den Handschellen befreit. Mehr noch als die Gefangennahme, die Waffe in der Hand, die tätliche Auseinandersetzung, die lästige Alte, die klammheimliche Reality-Show. Nur wenn du bei deinem Gegenüber absoluten Gehorsam voraussetzt (wobei du es aber in den meisten Fällen unterschätzt), kannst du dich im Recht fühlen, ihm einen solchen Befehl zu erteilen. Um nämlich in so einem Ton mit jemand zu reden, musst du ihn für das letzte Stück Scheiße halten.
    »Ich kann dir nur raten, tu, was ich dir sage«, fügte Matrix hinzu, nachdem er dem Ingenieur ein weiteres Mal den Knöchel in den Bauch gerammt hatte.
    »Du verdammter Mistkerl«, platzte ich jetzt heraus und zeigte mit dem Finger auf ihn. Gleichzeitig beugte ich mich herunter, in der unbestimmten Absicht, die Pistole an mich zu nehmen und sie in irgendeiner Weise einzusetzen (wobei ich das kleine Detail überging, dass ich noch nie in meinem Leben eine Pistole angerührt hatte).
    Matrix schaute mich perplex an, fand aber nicht die Zeit, ein Gefühl für die Unterbrechung zu entwickeln, weil Ingenieur Romolo Sesti Orfeo sich blitzschnell umdrehte und ihm seinen Ellbogen ins Gesicht rammte.
    Die Nase von Matrix explodierte. Weil er nach hinten kippte, wurde der auf dem Rücken des Gegners so mühsam errichtete Körperaufbau jäh aus den Angeln gerissen.
    Ich wich vermutlich aus Mitgefühl zurück. Und weil ich wohl doch nicht so hundertprozentig von meiner Aktion überzeugt war, kam ich aus dem Gleichgewicht, als ich nach der Pistole griff. Zum Glück stand Matteo der Wurstwarenverkäufer hinter mir, der mich spontan unter den Armen packte und damit verhinderte, dass ich hinfiel. In dem instinktiven Versuch, Boden unter die Füße zu kriegen (so muss das bei Kindern sein, die Laufen lernen – wenn die Mama sie unter den Achseln fasst), strampelte ich ein paarmal peinlich in der Luft. Als ich keinen Halt fand (dieser blöde Fußboden war verdammt rutschig), warf ich die Hände nach hinten und krallte mich an den Schultern von Matteo dem Wurstwarenverkäufer fest. So standen wir aneinandergeklammert wie zwei Saufbrüder, die sich vom Gehweg aufrappeln, nachdem der Rausschmeißer die Arbeit getan hat, für die er bezahlt wird.
    Mein Straucheln setzte Ingenieur Romolo Sesti Orfeo wieder in den Vorteil. Er hechtete auf die Pistole zu und vereitelte meine ohnehin nicht ganz sattelfeste Initiative; mit der wiedereroberten Waffe fuchtelte er ein bisschen in der Luft herum (um uns zu beeindrucken, nehme ich mal an – wir beachteten sein Getue allerdings so gut wie gar nicht, so abgeklärt waren wir da schon). Dann kümmerte er sich wieder um den halb ohnmächtig am Handlauf des Kühlregals baumelnden Matrix – allerdings ohne Eile, ja sogar mit einer deutlich wahrnehmbaren und geradezu beunruhigenden Gemächlichkeit (so als hätte die wiederhergestellte Kontrolle über die Situation in ihm den

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