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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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verharrten in stiller Erwartung.
    Für einen kurzen Moment lang setzte die Technik aus (bitte keine Detailfragen!), ein erneuter Druck auf die Fernbedienung erweckte den Monitor jedoch wieder zum Leben.
    »Da bin ich wieder«, sprach der Ingenieur Romolo Sesti Orfeo weiter in die Kamera und versuchte, die Aufmerksamkeit des verwirrten Publikums zurückzugewinnen (unglaublich, wie schnell man ein Publikum verliert).
    »Nein, nicht der Monitor, dort seht ihr doch nur euch selbst. Der andere Bildschirm, oben rechts.«
    Kurze Pause.
    »Von euch aus rechts, heiliger Strohsack. Na also, endlich. Könnt ihr mich sehen?«
    Kollektives Ausrichten der Köpfe.
    »Giovanni? Giovanni, kannst du mich sehen? Ju-huu?«, rief der Ingenieur jetzt in die Kamera. »Mach nicht so ein komisches Gesicht, du kennst mich doch.«
    Giovanni (wahrscheinlich einer der Verkäufer – er trug jedenfalls die gleiche Schürze wie Matteo der Wurstwarenverkäufer) glotzte ihn auf dem Bildschirm mit demselben Entsetzen an, das zuvor schon die Miene seines Kollegen hatte erstarren lassen. Woraus ich schloss, dass der Herr Ingenieur Romolo Sesti Orfeo hier im Geschäft offenbar im Ruf eines kreuzbraven Familienvaters stand.
    »Habt ihr die Polizei gerufen?«, fragte er.
    Giovanni gab keinen Ton von sich. Genau besehen, hatte ich den Eindruck, dass ihn zweierlei aus dem Konzept warf: der Schock, eine kriminelle Version des Ingenieurs Romolo Sesti Orfeo vor sich zu sehen, und der Umstand, dass jemand durch den Fernseher zu ihm sprach.
    (Dieses Unbehagen schien mir, wenn ihr es genau wissen wollt, erst mal vollkommen nachvollziehbar, denn es ist ja keineswegs normal, vor einem Bildschirm zu stehen und mit jemandem in Interaktion zu treten. Okay, manche von uns mögen sich – wahrscheinlich berufsbedingt – mittlerweile daran gewöhnt haben, ich sage nur: Videoklingelanlagen, Skype, Videokonferenzen … Und doch bleibt immer ein Restunbehagen, wie bei den älteren Leuten damals, als das Fernsehen aufkam. In meiner Familie wurde erzählt, dass eine meiner Urgroßmütter sich grundsätzlich umziehen und ihre Frisur richten ging, wenn abends der Fernseher angeschaltet wurde, weil sie überzeugt war, es seien Gäste gekommen. Und sie war weder krank noch verrückt: es war ihr nur nicht mehr beizubringen, dass sie sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.)
    »Hej, Giova’«, blieb Ingenieur Romolo Sesti Orfeo am Ball. »Ich hab dich was gefragt, gibst du also gefälligst Antwort?«
    Als der Verkäufer aus dem Bann gerissen war, nickte er eilfertig. »Ja«, rief er. »Das heißt, Marisa hat die Ca, Ca…rabinieri gerufen, glaube ich.«
    »Schon gut, das kommt aufs Gleiche raus. Jedenfalls brauchst du nicht zu schreien, ich hab an der Decke ein Dolby Surround Mikrophon installiert. Ich höre dich perfekt, genauso wie du mich.«
    »Ah so«, stotterte der Verkäufer (seiner Miene nach zu urteilen, konzentrierte er sich aber auf alles andere als auf die Sache mit dem Dolby Surround Mikrophon).
    »Also, hör gut zu«, kam der Zeremonienmeister endlich auf den Punkt, »ich hab einen Mann als Geisel genommen, verstanden? Ich hab ihn hier ans Kühlregal mit den Milchprodukten gekettet; meine Waffe ist auf ihn gerichtet. Niemand kommt hier in meine Nähe, ist das klar? Nie-mand. Beim Ersten, der’s probiert, gehn hier die Silvesterknaller hoch, verstanden? Sorg dafür, dass die Leute von diesem Gang wegbleiben. Genauso die Polizisten. Wenn die ankommen, stell sie zu mir durch. Ich sehe sie ja und rede von hier aus mit ihnen. Alles klar?«
    »Ja, ja, ja«, beteuerte Giovanni. (Wirklich exakt dreimal.)
    »So ist’s recht«, kommentierte Ingenieur Romolo Sesti Orfeo zufrieden und schaltete den Ton vom Eingangsbereich ab.
    Matrix stand demotiviert und irgendwie verloren mit seinen Prellungen da: Das bereits geronnene Blut tätowierte ihm das halbe Gesicht, und die Nase hatte ihr Volumen nach dem Zusammenstoß mit dem gegnerischen Ellenbogen nahezu verdoppelt. Nichtsdestotrotz entzog er sich den Monitoren nicht, warf ihnen sogar herausfordernde Blicke zu und strafte sie mit würdevoller, kalter Verachtung. (Ich musste unwillkürlich an den Blick der Tiere im Zoo denken, wenn der Klassentrottel sie beim Schulausflug durch die Gitterstäbe ihres Käfigs hindurch angespuckt hatte.)
    Ein peinliches Schweigen trat ein, wie wenn man ganz plötzlich auf eine seltsame Folter gespannt wird.
    »Sieht so aus, als würden wir auf jemanden warten«, sagte ich, um die Qual

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