Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
wenn ich das Sprechen mit ihm nicht exakt ›reden‹ nennen würde) – ist meine Schwiegermutter.
Ich weiß, streng genommen müsste ich ›Ex‹-Schwiegermutter sagen, aber ich denke ja gar nicht dran. Einmal, weil es mir nie in den Sinn käme, Assunta als Teil meiner Vergangenheit zu betrachten. Und dann, weil meiner Meinung nach in dem Schwiegermutter-Konzept das ›Ex‹ sowieso schon drinsteckt.
Schwiegereltern gehören per Definition schon zu der Gattung Menschen, die etwas gewesen sind : Arbeiter und Arbeiterin, Ehemann und Ehefrau, Mutter und Vater, dazu noch eine Fülle von Unterfunktionen und verschiedensten Stellvertreterämtern, die sie im Laufe ihres langen Lebens innehatten. So viele Aufgaben haben sie übernommen, dass es, wenn sie Schwiegereltern werden, ein wenig so ist, als würden sie Senatoren auf Lebenszeit. Sie sind Ex , allein schon weil sie Schwiegereltern sind. Zumal es ihr höchstes (und letztes) Bestreben ist, Großeltern zu werden (was bedeutet, dass sie ihren Enkeln ihr Leben erzählen wollen, wobei sie sich dann ein weiteres Mal als Ex aufführen).
Wie auch immer – was ich eigentlich sagen wollte: Das Schöne am Reden mit meiner Schwiegermutter ist, dass du dich nie für irgendwas rechtfertigen musst. Ich weiß, es klingt ein bisschen seltsam, aber wenn ihr mal drüber nachdenkt, dann bestehen die meisten menschlichen Beziehungen zum Großteil aus Rechtfertigungen.
Assunta hingegen, vielleicht weil sie allergisch ist gegen überflüssiges Geschwätz; oder weil sie Leute, die immer rumjammern, nicht ausstehen kann (oder auch, weil sie, wenn’s sein muss, auch mal richtig, na ja, kiebig sein kann), Assunta jedenfalls hat diesen ganz eigenen besonderen Vorzug, dass sie von niemandem etwas erwartet, aber wirklich von gar niemandem. Und weil sie das immer sofort klarstellt, gleich am Anfang einer Freundschaft, weil sie keinerlei Interesse daran hat, aus Beziehungen Nutzen zu schlagen, sondern sie ohne jegliche Hintergedanken und Vorbehalte eingeht, fühlst du dich mit ihr einfach sauwohl.
Denn mal ehrlich: Ist es nicht unglaublich befreiend, dieses Gefühl – zu wissen, dass dein Gegenüber nichts von dir verlangt (dieser Pakt ist übrigens die Grundlage jeder Freundschaft, und zugleich der Grund, weshalb Freundschaften in die Brüche gehen).
Damit wir uns aber recht verstehen: Einfach ist Ass deshalb noch lange nicht. Sie verhält sich nämlich beileibe nicht zu allen ihren Zeitgenossen so. Nichts zu fordern ist für meine Schwiegermutter das Produkt äußerster Intimität. Dieser sorglose Umgang mit ihr ist denen vorbehalten, die sie mag.
Wirklich einzigartig ist, dass sie mir sogar jetzt, wo es ihr schlecht geht, Gesellschaft leistet und mich sogar aufrichtet (wobei es eigentlich ja gerade andersherum sein müsste).
Jeden Abend nach sieben, wenn ich aus dem Büro komme, schaue ich bei ihr vorbei (die dämlichen Sprüche von Espe könnt ihr euch ja vorstellen …), und ich glaube wirklich, wenn es in meinem Terminkalender nicht den täglichen Kurzbesuch bei der Mutter meiner Ex-Frau gäbe, dann würden die wichtigen menschlichen Beziehungen bei mir zurzeit richtig knapp (Alagia und Alfredo laufen natürlich außer Konkurrenz, aber die Beziehungen zu den Kindern sind bekanntlich ja übermenschlich), und ich würde sie nicht mal sonderlich vermissen.
Tatsache ist: Seit ich aus der Sache mit der Geiselnahme raus bin (glücklicherweise unbeschadet; sonst könnte ich jetzt nicht davon erzählen), ist irgendwie alles oberflächlicher geworden. Ich meine, ganz im Ernst: Es ist, als ob die Wirklichkeit plötzlich nur noch um mich herumscharwenzeln würde. Als ob sie plötzlich eine Riesenlust hätte, sich um mich zu kümmern.
Manchmal ist es mir geradezu peinlich, wie aufmerksam und nett sie zu mir ist, die Realität. Sie lädt mich ein, fordert mich zum Zugreifen auf, begleitet mich nach Hause. Sie bietet mir Sachen an. Gelegenheiten. Schnäppchen. Legt immerzu süßliche Hintergrundmusik auf (darauf könnte ich, ehrlich gesagt, gut verzichten).
Ist euch das auch schon mal passiert? Dass die Wirklichkeit um euch herumscharwenzelt und euch hofiert? Garantiert, würde ich spontan vermuten. Weil jeder – zumindest als junger Mensch (sagen wir, zwischen zwanzig und fünfundzwanzig) – eine Phase des sozialen Glücks hat durchleben dürfen, in der die Wirklichkeit um ihn herumscharwenzelt ist. Vielleicht netto nur sechs Tage lang, aber immerhin. Und das vergisst er ein Leben lang
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