Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Hallo?«
Verdammt.
Abgewatscht und schweißgebadet sitze ich reglos mit dem Handy in der Hand da und starre auf das Kinderfoto von Alagia und Alfredo, als ich plötzlich, nicht weit über meinem Kopf, ein horrend vertrautes Flap-flap höre. Und jetzt ratet mal, wer eine Sekunde später neben mir landet?
›Oh, da bist du ja endlich. Wo hast du denn gesteckt? Ich dachte schon, sie hätten dich vielleicht entlassen, wegen, sagen wir, Verletzung der Schutzpflicht‹, begrüße ich meinen Schutzengel.
›Sehr witzig‹, sagt der und bürstet sich die Rüstung ab, ›erstaunlich, dass du dich überhaupt noch traust, Sprüche zu klopfen, nach der Glanzleistung von gerade eben.‹
›Hör mal her‹, entgegne ich, ›während du in den Wolken da oben am Faulenzen warst, musste ich hier alles alleine deichseln. Und ich glaube, mit Verlaub, dass ich das ziemlich gut hingekriegt habe. Und du? Tauchst wie üblich erst auf, wenn alles gelaufen ist. Weißt du was? Geh doch gefälligst einfach wieder zurück in deinen Scheißhimmel zum Däumchendrehn, hier störst du nur.‹
›Jetzt, wo du berühmt bist? Ich denke ja gar nicht daran!‹
›Für solch einen Opportunisten hatte ich dich gar nicht gehalten.‹
›Ach! Das sagt gerade der Richtige. Ganz ehrlich, Vince’, nach der peinlichen Vorstellung mit deiner Schwiegermutter wäre ich lieber ganz still!‹
Darauf antworte ich nicht mal mehr, sondern werfe ihm nur einen beredten Blick zu. Immerhin hat er gecheckt, wie ernst es mir ist, und hat sich auf der Stelle verkrümelt. Der Feigling.
»Herr Anwalt«, einer der Polizisten von vorhin kommt auf mich zu. »Der Rettungswagen fährt jetzt los.«
Ich schaue ihn an.
Er schaut mich an.
»Herr Anwalt?«
»Hä?«
»Der Rettungswagen«, wiederholt er und zeigt mit dem Finger darauf, als wollte er mir zeigen, wie ein Rettungswagen aussieht.
Sie gehen lassen,
ohne einen Finger zu rühren
Wenn ihr jetzt meint, es fehlt noch was in diesem großen Ganzen (so was wie eine Antwort auf eine Frage), dann habt ihr euch nicht getäuscht: So ist es.
Und die Frage lautet: ›Willst du allen Ernstes einfach darüber hinweggehen, dass Alessandra Persiano sich nicht gemeldet hat, oder fändest du es nicht angebrachter, uns eine Erklärung zu liefern?‹
Also gut, wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Alessandra ist dann doch noch gekommen. Genau in dem Moment, als ich mich noch immer völlig benommen vom telefonischen Anschiss meiner Schwiegermutter in Zeitlupe auf den Rettungswagen zubewegte.
In dem Moment war ich durch mein in den Keller gesaustes Selbstwertgefühl dermaßen belämmert, dass ich sie, ich schwöre es, nicht erkannte.
Ale muss gedacht haben, ich stünde noch irgendwie unter Schock, sie nahm nämlich mein Gesicht zwischen ihre Hände und forderte mich auf, sie anzuschauen.
»Liebling, ich bin’s«, höre ich sie sagen.
Und erst in dem Moment, das weiß ich noch genau, frage ich sie das Naheliegende – nämlich wo sie die ganze Zeit über gewesen sei.
»Ich war dort, wo du mich haben wolltest«, antwortet sie mit einem traurigen Lächeln.
Das bekäme ich gerne näher erläutert, aber der Fahrer drückt so ungehalten auf die Hupe, dass uns vor Schreck fast der Schlag trifft. Wir hasten los, steigen ein, und mit quietschenden Reifen und lautem Sirenengeheul düst der Rettungswagen los.
Und dann?
Tja, was soll ich euch sagen?
Wir waren wieder zu Hause.
Ich erinnere mich: Dort sieht alles aus wie immer, nur dass der Anrufbeantworter blinkt wie wild und damit anzeigt, dass er voll ist.
(Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber bei mir ist es schon seit Längerem so, dass mir Wohnungen ein ziemlich deprimierendes Trostgefühl vermitteln, als wäre es ihr Daseinszweck, das unveränderliche Antlitz des Lebens widerzuspiegeln und dir, egal was du sagst oder tust, rechts immer das Wohnzimmer, links die Küche und hinten das Schlafzimmer zu präsentieren).
Alessandra Persiano benimmt sich genau so, wie man sich eine liebende Frau in solch einer Situation wünscht: sanft, aufmerksam, stolz auf mich und meinen Fernsehauftritt, glücklich, dass mir nichts zugestoßen ist, menschliche Anteilnahme am Drama des Ingenieurs Romolo Sesti Orfeo zeigend, intellektuell aufgewühlt durch die Fragen, die sich durch die live übertragene Geiselnahme in Hinblick auf den Gerichtsprozess und die Ummodelung der Justiz zum Spektakel stellen.
Wenn man unverletzt aus einer traumatischen Erfahrung hervorgeht, macht einen das Bedürfnis,
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