Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
klar – die Nerven verlierst und doch zu brüllen anfängst (da du aber nicht weißt, worum es eigentlich geht, kriegst du die Argumente nicht auf die Reihe, sondern stammelst am Ende einfach nur noch ohne Sinn und Verstand irgendwelche Beleidigungen daher).
Während sie ganz ruhig bleibt.
Der Umstand, dass sie Coolness bewahrt, du dich aber gerade um Kopf und Kragen quasselst, macht dich allerdings nur noch wütender (am wenigsten erträglich an der ganzen Chose ist nämlich, dass du nicht mal weißt, warum ihr euch eigentlich streitet), und deshalb sagst du Dinge, die du gar nicht denkst, oder gräbst uraltes Zeug aus, an das du dich nicht mal mehr richtig erinnerst …
… und innerhalb von wenigen Minuten öffnet sich ein Riss, den du förmlich krachen hören kannst.
Nach alledem, was ich in den letzten Stunden durchgemacht habe, beschließe ich, mir die Mühe zu sparen, sehenden Auges in die Falle zu tappen: Auch ich halte jetzt den Mund.
›Mal schauen, was passiert‹, sagte ich mir.
Sie sagt nichts.
Ich sage nichts.
Um uns aus der Affäre zu ziehen, schalten wir den Fernseher an. Wir zappen zwischen verschiedenen Nachrichtensendungen hin und her. Die Meldung ist eine der ersten, die unten auf dem Textband durchlaufen.
Wenig später erwischen wir einen ganzen Beitrag auf Rai News 24. Im Fernseher haben die Aufnahmen aus dem Supermarkt etwas banal Zwielichtiges: etwas gelblich Ungenaues, leicht Unscharfes wie aus einem Snuff Movie, etwas zugleich Beunruhigendes und Angeranztes.
Alessandra Persiano ist mit mir einer Meinung, dass sie nicht schön anzusehen sind.
»Du kommst aber nicht schlecht rüber«, kommentiert sie.
Auch ich empfinde es als nicht ganz unangenehm, mich dort drinnen zu sehen. Vielleicht gerade wegen der Unschärfe.
Am Ende der Sendung beschließen wir, etwas zu essen.
Wir kochen miteinander.
Wir sind höflich zueinander und zuvorkommend.
Dann stecken wir die Telefone aus und gehen ins Bett.
Liebe machen wir keine.
Nachdem wir im Dunkeln ein wenig still nebeneinandergelegen haben, informiert sie mich, dass sie am nächsten Morgen nach Mailand fahre, weil dort die Verhandlung vor dem Schwurgericht laufe, von der sie mir erzählt habe.
Ich sage, ›ach-ja-ich-erinnere-mich‹, aber ich erinnere mich nicht.
»Ich werde ein paar Tage weg sein«, sagt sie.
Völlig klar, dass das nicht stimmt.
Wann hat das alles angefangen?
Was haben wir uns getan, dass wir so verlogen miteinander umgehen?
Ich dürfte meiner Partnerin gegenüber nicht so hartnäckig stumm sein, wenn sie mir einen Satz serviert wie: ›Ich dachte, ich müsste warten, bis ich an der Reihe bin‹.
Liegt es an mir, dass sie sich so ausgeschlossen gefühlt hat, oder hat sie eingesehen, dass ihr Platz nicht der neben mir ist?
Natürlich könnte ich sie das fragen, aber ich tue es eben nicht. Weil diese Einsicht mir gehört und ich mich weigere, dass ich sie als Antwort auf eine Frage bekomme.
Also lasse ich die Dinge jetzt mal so, wie sie sind. Ich interveniere nicht, repariere nicht, rette nicht.
Und sie, obwohl sie kapiert hat, was ich da gerade mache, verkleinert ihren Abstand zu mir nicht um einen Millimeter.
Von außen betrachtet könnte es so aussehen, als hätten wir eine stillschweigende Übereinkunft getroffen, aber so ist es nicht.
Wir wollen nicht dasselbe.
Und was noch schlimmer ist: diese Quälerei hat mit uns gar nichts zu tun. Das große Arsch, das uns zusammengebracht hat, hat uns hier geparkt und wartet jetzt auf die Entscheidung, was aus ihm werden soll. Es benimmt sich wie immer, wenn es am Zappeln ist und noch nicht weiß, ob es zum Sprung ansetzen oder absterben soll.
Für uns ist die Liebe jetzt ein Hin- und Herschieben von Schuld.
Die Sterblichkeitsrate junger
Liebesbeziehungen
Warum nur ist die Liebe in den ersten Monaten ihres Bestehens so anfällig? Warum ist sie so allergisch, so empfindlich gegenüber allen möglichen Witterungseinflüssen? Warum so gnadenlos dem Naturgesetz der natürlichen Auslese unterworfen?
Wegen der Interessenskonflikte, mit denen ich seit ein paar Jahren zu tun habe, mache ich mir schon seit längerem Gedanken über das Thema des physiologischen Absterbens der Liebe in der Anlaufphase.
Im gewöhnlichen Leben (das wir im Grunde ja alle anstreben: ein Leben wie im Oktober, arm an Verletzungen und Wonnen, wo man nicht viel braucht, sich nur warm anziehen muss) – im gewöhnlichen Leben also tritt der Tod auf wie ein Komparse.
In der jungen Liebe aber
Weitere Kostenlose Bücher