Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Laufen halten und in den Sitzungen die Drecksarbeit machen – wir bleiben außen vor. Wir zählen nicht – auch wenn wir von unserem Beruf tausendmal mehr Ahnung haben als die.«
An der Stelle bringt sie auch noch das Beispiel einer Berufskollegin, die, notorisch ahnungslos, aber selbstgerecht, dass es kracht, trotzdem immerzu im Fernsehen und in der Zeitung auftaucht und Binsenweisheiten über die Unzufriedenheit der Jugend von sich gibt, als ob sie die Expertin dafür wäre. (Wie sie das anstellt, ist uns übrigens beiden ein Rätsel.) Ihre Kanzlei hat Zulauf wie verrückt, obwohl sie eine Klagschrift nicht von einem Widerspruchsschreiben unterscheiden kann und obwohl sie (was wirklich der Gipfel ist) die armen Mandanten, die sich nach ihrem Rumgetöne Wunder was von ihr versprechen, systematisch ruiniert.
»Die Dinge«, fährt Ale immer pessimistischer fort (›hoffentlich kommt sie langsam zum Schluss‹, denke ich), »sie laufen einfach in die verkehrte Richtung, Vince’. Über die Jahre haben wir mit eigenen Augen gesehen, wie sich diese Kehrtwende vollzogen hat. Wir haben es gemerkt – natürlich haben wir es gemerkt. Wir haben es uns erzählt, uns darüber aufgeregt und uns Sorgen gemacht; nur aufhalten konnten wir sie nicht. Und jetzt haben wir den Salat. Aber wenigstens sollten wir mal damit aufhören, …«
»Sag mal«, falle ich ihr ins Wort, »warum bist du eigentlich nicht gleich zu mir gekommen, als ich aus dem Supermarkt raus war?«
Eigentlich habe ich seit unserer Rückkehr nach Hause damit gerechnet, dass sie es mir frei heraus sagen würde.
Pustekuchen.
Sie kratzt sich am Ellbogen.
»Du sagtest doch, du wärst da gewesen«, füge ich überflüssigerweise noch hinzu.
»Klar war ich da. Von Anfang an«, bestätigt sie melancholisch. »Als ich hörte, dass du in die Geiselnahme verwickelt bist, bin ich sofort zum Supermarkt gekommen.«
»Tja, und?«
»Und … als ich deine Kinder und Nives kommen sah, dachte ich, ich müsste warten, bis ich an der Reihe bin.«
» Warten, bis du an der Reihe bist ? «, wiederhole ich, als ob ich dem Satz durch die Wiedergabe mit einem Fragezeichen am Ende einen Sinn geben (oder vielmehr seine Unsinnigkeit aufzeigen) könnte.
Keine Antwort.
»Mir war nicht klar, dass du dich in irgendeiner Weise zurückgesetzt fühlen könntest. Nicht mal gegenüber meinen Kindern.«
»Mir war das auch nicht klar«, sagt sie, als ob ihr das Geständnis Bauchschmerzen bereiten würde und sie es lieber für sich behalten hätte. »Mir ist das erst in diesem Moment klar geworden.«
Also, an dieser Stelle möchte ich gerne grundsätzlich werden und mich mit der Kommunikation zwischen Liebenden auseinandersetzen.
Die zentrale Frage ist doch: Aus welchem unerfindlichen Grund kommt man, wenn man sich mit der eigenen Partnerin auf ein Gespräch über Gefühlsdinge einlässt, irgendwann unweigerlich an den Punkt, wo man sich mit einem Dogma konfrontiert sieht? (Also mit der Verkündung einer vollendeten Tatsache, von deren Vollendung du natürlich nichts mitgekriegt hast oder die sich – noch besser – gar nicht in deinem Beisein zugetragen hat?)
Es läuft doch immer gleich ab: Ohne Vorankündigung wirft sie dir den Brocken vor die Füße. Selbstredend gibt sie auch keine Erklärung dazu ab (nicht mal aus Anstand oder Rücksicht), sondern beliefert dich nur ganz beiläufig mit der Zusatzinformation, dass du sowieso nichts mehr daran ändern kannst?
Da fällt dir dann nichts mehr ein.
Du fühlst dich schuldig, ohne zu kapieren, warum.
Und sie? Begnügt sich damit, den Mund zu halten.
Deshalb bittest du sie im freundlichsten und vernünftigsten Ton, der für dich machbar ist, sie möge dir bitte erklären, wo genau euer Problem liege, da es für dich einfach nicht erkennbar sei.
Sie erklärt aber nichts und wiederholt nur leise den selben unverständlichen Satz von vorhin. (Subtext ist, dass du dir keine Mühe zu geben brauchst und eigentlich sowieso selbst draufkommen müsstest.)
Es hat dich schon immer auf die Palme getrieben, wenn sie dich nötigt, den Kopf vorzurecken, damit du hören kannst, was sie sagt, aber jetzt darfst du auf keinen Fall die Fassung verlieren!
Also versuchst du, ihr die eine oder andere Frage zu stellen, einfach, um eine kleine Hilfestellung zu haben.
Du schlägst aus dem Stegreif sogar noch eine ganze Reihe nachvollziehbarer Erklärungen vor.
Mit dem einzigen Effekt, dass sie noch schweigsamer wird.
Weshalb du wenig später – das ist
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