Meine Seele gehoert dir - Angelfire ; Bd. 1
gesagt hast, er soll öfter vorbeikommen …«
»Na ja, jetzt …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, lachte jedoch leise vor sich hin.
»Ich weiß sowieso nicht, ob ich Lust hätte, mit ihm auszugehen«, sagte ich. »Schließlich ist er mein Nachhilfelehrer. Wir waren ein paar Mal mit Freunden unterwegs, aber das ist alles. Er ist ziemlich geschäftsmäßig drauf.«
»Es ist gut, dass er seine Pflichten ernst nimmt.«
»Ja, das tut er. Sogar sehr«, sagte ich schmunzelnd.
»Aber das reicht dir nicht?«
Meine Mom konnte offensichtlich Gedanken lesen. »Nicht wirklich. Kann man überhaupt mit jemandem zusammen sein, mit dem man arbeitet?«
»Möglich ist das schon«, sagte sie nachdenklich. »Aber es erschwert die Zusammenarbeit, weil du dich dann mehr auf ihn konzentrierst als auf die Arbeit. Und wenn es schiefgehen sollte, ist es schwer, weiter zusammenzuarbeiten. Dann wird die Gegenwart des anderen unerträglich.«
Ich musterte sie von der Seite, während sie starr geradeaus blickte. »Du redest von Dad, nicht wahr? Von eurer Ehe, meine ich.«
»Ja, da gibt es gewisse Parallelen.«
»Was ist mit ihm passiert?«
Sie atmete seufzend aus. »Ich weiß es nicht, Liebes. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Und jeden Tag mit ihm zusammen zu sein ist sicher schwer.«
»Das ist es. Er hat sich verändert. So was passiert. Er ist schon seit langem nicht mehr der Mann, den ich geheiratet habe.« Sie warf mir einen schnellen Seitenblick zu. »Aber weißt du, was das Verrückteste ist? Trotz allem liebe ich ihn immer noch.«
»Wahrscheinlich macht Liebe wirklich blind.«
»Nein«, sagte meine Mom. »Sie macht nicht blind. An einem geliebten Menschen nimmt man alles wahr, sowohl mit den Augen als auch mit dem Herzen. Nein, Liebe macht nicht blind. Sie lähmt einen, bis man weder atmen noch davonlaufen kann.«
Plötzlich wurde mir klar, dass meine Mom meinen Dad nicht verlassen konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Er hatte sie nie geschlagen, doch verbal und emotional tat er ihr sehr wohl Gewalt an. Vielleicht war er eine tickende Zeitbombe, und meine Mutter ahnte es. Auf alle Fälle würde sie sich nicht selbst helfen, und ich konnte ihr auch nicht helfen.
Aber das brachte mich dazu, über mein Verhältnis zu Will nachzudenken. Wenn er mehr würde als nur mein Beschützer, wie würde sich das auf unsere Fähigkeit auswirken, gemeinsam zu kämpfen? Wenn er mich irgendwann tatsächlich küssen würde, würden wir uns verändern?
Mom seufzte. »Du kannst dir nicht vorstellen, welche Angst ich hatte, als du mir gesagt hast, du hättest einen Unfall gehabt. Ich wusste ja, dass so etwas passieren kann, aber mir ist fast das Herz stehen geblieben.«
»Es tut mir leid«, sagte ich zerknirscht.
»Habe ich dir eigentlich erzählt, dass ich auch schon einmal einen schweren Unfall hatte?«
»Nein.«
Wir waren in unsere Einfahrt gebogen und stellten den Wagen in die Garage.
»Es war spätabends, der Wagen neben mir ist von der Fahrbahn abgekommen und hat mich gerammt. Mein Auto hat sich überschlagen und ist gegen einen Baum geprallt. Ich war schwanger, als es passierte, und habe das Baby verloren. Die Ärzte haben gesagt, ich könnte keine Kinder mehr bekommen. Und dann kamst du.« Sie streichelte zärtlich meine Wange. »Deshalb bist du mein kleines Wunder. Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.«
Ich sah sie an. Die Stille in der Garage senkte sich über uns wie eine Decke. Was meine Mom mir erzählt hatte, hatte mich ziemlich schockiert. Ich wusste ja schon, dass ich nicht normal war, aber jetzt fühlte ich mich noch sonderbarer. Wer hatte bei meiner Wiedergeburt entschieden, in welcher Familie ich landen würde? Es war eine beklemmende Vorstellung, dass irgendjemand – oder irgendetwas – Kontrolle über mein Schicksal hatte. Über meine Seele.
»Bis morgen früh«, sagte meine Mom. »Ich bin so froh, dass dir nichts zugestoßen ist.«
»Danke für alles«, sagte ich. »Das war wirklich gruselig.«
»Ich kann nicht fassen, was für ein Pech du mit deinem Auto hattest«, sagte sie. »Wenn alle Teenager so viel Pech hätten, könnte man verstehen, warum die Versicherungen so teuer sind.«
Ich presste die Lippen zusammen. Pech . Dass ich von einem menschenfressenden Ungeheuer angegriffen worden war, war einfach nur Pech gewesen.
Sie lächelte zärtlich und küsste meine Stirn. »Du konntest nichts dafür. Und ich finde, du bist gut mit der Situation fertig geworden. Schlaf dich morgen mal
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