Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
staatliche Stellen, die sich mit Evakuierungsplänen befassen, aber die haben schnell wieder aufgegeben – bricht in Neapel doch schon ein Verkehrschaos aus, wenn jemand eine Dose Tomaten an den Straßenrand stellt.
Noch ein Wort zu Neapel. Ich lebe seit vielen Jahren in Italien, aber nichts, wirklich nichts, bereitet einen auf den Verkehr dort vor. »Italiener hätten niemals«, schrieb Bill Bryson, »von der Erfindung des Automobils erfahren dürfen.« Fünf Fahrbahnen münden auf eine Kreuzung, ein paar Ampeln blinken altersschwach vor sich hin, was aber nicht die geringste Relevanz für den in Volten vorwärtsschießenden Verkehr zu haben scheint, und egal wie sehr man sich umschaut: In dem Moment, in dem man losfährt, schießt ein Fahrzeug aus einer bislang verborgenen sechsten Fahrbahn direkt auf einen zu. Mehrdimensionale Kreisverkehre, Pferdegespanne im Trab auf der Überholspur, explodierende Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg und ein versagendes Navigationssystem: Hier kann die Wirksamkeit von 24-Stunden-Deodorant endlich mal wirklichkeitsnah getestet werden. Die Vespas können nur von Außerirdischen gesteuert werden. Ich würde nicht einmal in einem Videospiel mit Freileben so viel riskieren wie diese Burschen. Auch in den Vorstädten wird es nicht besser. Die Küste am Golf von Neapel ist eine Steilküste, was allerlei straßennetzrelevante Probleme aufwirft. Man kann nur froh sein, irgendwann in Sorrent angekommen zu sein und das Auto auf irgendeinem Platz abzustellen, der von drei bunten Verbotsschildern umzingelt ist. Alles ist besser, als jetzt noch stundenlang einen regulären Parkplatz zu suchen.
Ich dachte, ich sei stark. Doch die neapolitanische Rushhour hat mir das Selbstbewusstsein angekratzt. Und den linken Außenspiegel.
Eines muss man dem Vesuv lassen: Er gibt am Horizont ein malerisches Bild ab, wenn man im »Caffè Ruccio« im Hafen von Sorrent, auf dessen Stufen schon Sophia Loren getanzt hat, einen Espresso trinkt und auf die traumschöne Küste schaut, die, unter uns Paranoikern, nichts als eine gigantische Caldera ist, ein Vulkankrater aus der Urzeit der Erde von biblischem Ausmaß.
Italienische Häfen bieten, ähnlich wie deutsche Bahnhöfe, selten Höhepunkte der Küchenkunst. Mehrsprachige Speisekarten sind meist kein gutes Zeichen, und wenn sie dann noch 47 Hauptgerichte anzeigen, ist unbedingt Vorsicht geboten. Der endgültige K.o. sind aber die Piktogramme, die anzeigen: Hier essen ausschließlich Japaner und Engländer. Also muss man für eine vernünftige Pasta die 140 Stufen vom Hafen in die Innenstadt bezwingen.
Aber verweilen wir noch einen Augenblick im Hafen von Sorrent, denn hier, genau hier, ist sie höchstwahrscheinlich passiert, die bedeutendste Vermählung in der Geschichte der Gastronomie, im Hafen von Sorrent, oder vielleicht in Vico Equense, in Castellamare, in Torre Annunziata, in Torre del Greco, in Pozzuoli (dem permanent vibrierenden Heimatort der Loren) in Ercolano oder in Neapel selbst: die Hochzeit der Nudel mit der Tomate. Makkaroni und Spaghetti wurden in heißem Wasser gekocht und die Tomaten in Stückchen darübergegeben. Schmackhaft, haltbar, preiswert – zuerst ein Volksgericht, dann ein Nationalgericht, schließlich ein Weltstar.
Und noch ein Weltstar stammt von den Ufern des Vesuv: Die Pizza Margherita, die aus Teig, Käse und
Tomaten besteht und der typischen Pasta mit Tomaten ähnelt, stammt aus Neapel. Sie wurde 1889 zu Ehren der ersten italienischen Königin in den Nationalfarben Grün (Basilikum), Weiß (Mozzarella) und Rot (Tomate) kreiert. Majestät hielten sich auf Staatsbesuch in der Stadt auf und waren von der Pizza dem Vernehmen nach sehr angetan.
Doch Neapel war nicht immer die Hochburg von Pasta und Pizza: Das eigentliche Gericht der Region war die Armeleutesuppe minestra maritata , ein Eintopf aus Schlachtabfällen, der, je nach ökonomischen Möglichkeiten der Familie, mit etwas magerem Fleisch oder Gemüse verfeinert wurde. Der neapolitanischen Suppe wurde gar ein Gedicht gewidmet:
Sette cose fa la zuppa: cura fame e sete attuta,
Empie il ventre, netta il dente,
Fa dormire, fa smaltire,
E la guancia colorire.
»Sieben Dinge vollbringt die Suppe: stillt den Hunger, löscht den Durst, füllt den Magen, putzt die Zähne, hilft uns schlafen und verdauen und macht rote Wangen.«
Die Neapolitaner galten im feinen Norden als mangiafoglie , wörtlich übersetzt »Blätteresser«, sinngemäß »Resteesser«. Doch zu
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