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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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servil bedienen, daß man, aus Deutschland kommend, fast peinlich berührt errötet. Verrückt. Wie der Ober mit zeremoniellen Gesten flambiert. Die in brave Kostüme gekleideten Frauen in Alpenrosenrosa und Enzianblau. Die jungen Frauen mit ihren schrägen Frisuren.
    Wir setzen uns in ein Café dem Dom gegenüber.
    Vielleicht saß er wie wir in einem Kaffeehaus vor einem kleinen Braunen mit dem dritten Glas Wasser und studierte die Zeitung mit ihrem riesigen Veranstaltungskalender, die er dem Lesezirkel entnommen hatte. Er erschloß sich die Stadt mit ihrer Kulturbesessenheit, ihrer Theatromanie und einem reichen Theater- und Opernrepertoire, ihrer Literatur und einer Fülle erlesenster Konzerte. Die Kunststadt par excellence, deren aufgeschlossene Atmosphäre er sofort spürte. Doch auch noch immer eine Stadt der Aristokratie, des Bagatelladels und der privilegierten Kreise, in die er nicht vordringen würde.
    Es war für ihn befreiend, daß er in Wien mit Ausnahme von zwei Studienkollegen mit keinem Menschen in engerer Beziehung stand. Er war bereit für neue Freundschaf
ten und randvoll mit Vorsätzen, ein neues Leben zu beginnen.
    Es wunderte ihn, wie wenig er seine Familie vermißte. Er war neugierig auf sich selbst und beinahe festlich gestimmt.
    Stolz trat er auf den Burgplatz mit der geschwungenen Hofburg und ihren erleuchteten Höfen und atmete Größe und Kaisertum. Er begegnete Menschen, die sich anscheinend leichter mit dem Leben taten als die Polen, und wollte nichts anderes, als die österreichische Kultur mitprägen. Vorleben, wie gut man in der Gesellschaft vorankommen kann, wenn man sich am Ideal bürgerlicher Kultur orientierte. Mit Haut und Haar Österreicher sein.
    Renate lacht abfällig. Der und Kultur. Der Kerl war doch eine Null. Weder ein guter Dramatiker noch ein interessanter Mann.
    Ich ärgere mich und will ihn verteidigen.
    Woher weißt du das? Hat dir das mein Vater eingebläut?
    Sie hebt die Handflächen und runzelt die Stirn. Schongutschongut, sagt sie, er war ein genialer Bursche.
    Ich wehre Renates Einladung, mit ihr eine Freundin zu besuchen, ab, ziehe mich in das kleine Hotel nahe dem Stephansdom zurück und lese, wie es Großvater weiter erging. Erst lief er tagelang durch die große Stadt, um Familien aufzusuchen, für die er Empfehlungen erhalten hatte, doch ohne Erfolg.
    Was hält sie von ihm als Hauslehrer?
    Aufblitzende Bilder: als würdiger Mann, der mit Zylinder die Herrenhäuser betritt, damit er größer und respektvoller wirkt. Der stets den Zeigefinger hebt, unverbesserlicher Besserwisser und bourgoiser Philosoph.
    Wie ging er mit diesen begüterten lernfaulen Halbwüch
sigen mit gesellschaftlichen Ambitionen um? Schaffte er es, sich durchzusetzen und behauptete seine Autorität? Der Aufgabe, andere zu unterweisen, widmete er schließlich mehr als sein halbes Leben und kämpfte verbissen gegen das Schnipselwissen.
    Nun fällt ihr ein, daß auch ihr Vater etwas Belehrendes hatte und sein reiches Wissen gern weitergab, und die Geste, die sie erinnert, ist ebenfalls sein erhobener Zeigefinger.
    Der Großvater glaubte an den Stil, die Schönheit der Sprache, mehr als irgend jemand. Früh verehrte er unsere germanischen Vorfahren, kannte die Etymologie des Wortes »deutsch« und pries das »Annolied«, das von »diutischi liuti, diutschi man, diutschi lant« kündet, für ihn die Geburtsurkunde seiner Sprache. Er suchte das korrekte Wort, rang um Wohlklang und Genauigkeit. Ganz sicher war sein Ehrgeiz, die jungen Leute mit Wissen vollzupacken, übertrieben – doch will ich seine Ernsthaftigkeit nicht belächeln. Er beherrschte nicht nur die technischen Mittel, seinen Schülern die Richtung zu weisen, ihm mangelte es auch nicht an einer gewissen Ausstrahlung, die aus Widerspenstigen gehorsame Schüler machte. Solange sie gemeinsam an einem Strang zogen, entstand eine Art von Freundschaft. Und doch kann dieses ständige Unterweisen, ob in der Schule oder als Hauslehrer, auf die Dauer etwas Bemüßigtes und Ermüdendes bekommen – mußte er sich nicht ständig wiederholen? Die Lehrer damals waren lehrerhaft bis zur Pein.
    Der künftige Student und arbeitslose Hauslehrer quartierte sich zunächst in der Josefstadt ein, wo die beiden Freunde aus Bielsko wohnten, schrieb sich an der Universität ein, suchte um Kollegiengeldbefreiung

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