Meine Wut ist jung
Vertreter des Regimes jämmerlich das Weite suchten. Mächtige Leute, die in ihrem Ort - am Tegernsee habe ich das erlebt - das Sagen hatten und dann plötzlich nichts mehr waren. Diese Diktatur hat noch lange ihre Spuren hinterlassen. Hinzu kam, dass sich in der DDR in anderer Weise ein neuer Unrechtsstaat entwickelte.
Diese beiden historischen Situationen auf deutschem Boden - die Nazidiktatur und das, was dann in der DDR passierte - haben mich nie mehr losgelassen. Später, bei meinen vielen Reisen durch die ganze Welt, habe ich gesehen, dass die Unterdrückungsmechanismen und die Ohnmacht der Betroffenen überall exakt die gleichen waren. Das Ziel ist immer, die politischen Gegner mundtot zu machen, zu verfolgen, zu inhaftieren, zu foltern, und im äußersten Fall zu töten. Alles nur, um Macht zu erringen oder zu behalten. Für mich als Deutschen mit der Lebenserfahrung von zwei Diktaturen auf deutschem Boden ergab sich daraus eine besondere Verpflichtung, eine immerwährende Motivation. Nicht das Recht an sich, sondern das Recht des Stärkeren, eben nackte Willkür, setzt sich in allen Diktaturen durch. Das war und ist nicht zu akzeptieren.
Was war für Sie in der Menschenrechtspolitik besonders wichtig?
Für mich waren nicht diese vielen Konferenzen, Verträge und Resolutionen maßgebend, auch wenn sie natürlich eine Funktion haben. Ich habe alle bürokratischen Akte immer daran gemessen, was sich für die betroffenen Menschen wirklich ändert. Mit der Zeit entwickelte ich eine richtige Aversion gegen diese Art von Konferenzen, die sich oft selbst genug waren.
Worin liegen eigentlich die Wurzeln für die Menschenrechte?
Der zentrale Gedanke der unantastbaren Menschenwürde hat sich entwickelt aus der Antike über die europäische Aufklärung bis in unsere Zeit und ist beeinflusst durch unsere christlich-jüdische Tradition. Die beiden verfassungsrechtlichen Grundpfeiler sind die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte nach der Französischen Revolution von 1789. Wir stehen sozusagen vor einem transatlantischen Gebäude, vor dem »normativen Projekt des Westens«, wie Heinrich-August Winkler dieses nennt. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 ist dann eine unmittelbare und unmissverständliche Reaktion auf die Jahre der Barbarei bis 1945. In den Beziehungen der Völker untereinander hat es eine solche Selbstverpflichtung vorher nicht gegeben. Sie ist verabschiedet worden in einer glücklichen, politischen Konstellation.
Der Ostblock hat die Verabschiedung nicht verhindert, sondern sich gemeinsam mit einigen wenigen Staaten nur der Stimme enthalten.
Das Prinzip der Menschenwürde in unserer deutschen Verfassung folgt der »Allgemeinen Erklärung«. Es verpflichtet uns verfassungsrechtlich, nicht nur die Menschenwürde hier im eigenen Land, sondern weltweit zu verteidigen.
Gibt es denn andere Verfassungen, die so weit gehen wie unser Grundgesetz mit dem Artikel 1?
Wir sind mit unserem Grundgesetz schon sehr strikt. Unser Bekenntnis zur Menschenwürde ist kein Lippenbekenntnis. Unsere Grundrechte sind keine schönen Absichtserklärungen, sondern einklagbare Rechtsansprüche, wie ich das zum Beispiel vor dem Bundesverfassungsgericht mehrfach getan habe.
Sie waren sechs Jahre lang - von 1992 bis 1998 - Leiter der Deutschen Delegation bei der UNO-Menschenrechtskommission. Was führte Sie in diesen Aufgabenbereich und was glaubten Sie, als Sie dort antraten, bewegen zu können?
Genscher war gerade noch Außenminister, als er mir diese Aufgabe übertrug. Sein Nachfolger Kinkel hat diese dann bestätigt. Beide unterstützten mich sehr in diesem für mich neuen und sehr komplexen Arbeitsfeld. Die Kommission war kein Parlament, wie ich es kannte. Sie folgte diplomatischen Regeln, für mich ungewohnte Wege zur Meinungs- und Entscheidungsbildung. Die meisten anderen Staaten wurden durch Diplomaten vertreten. Dennoch konnte ich mich als Politiker einbringen. Meinungsverschiedenheiten zwischen den bestens geschulten Diplomaten und mir konnten wir auflösen. Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit konnte ich unsere Tätigkeit in Genf schließlich auch hier im Lande bekannter machen.
Welche Bedeutung hat die Menschenrechtskommission und heute der Menschenrechtsrat in Genf?
Diese Gremien sollen - das war ihr Auftrag von Anfang an - darüber wachen, dass die »Allgemeine Erklärung« befolgt wird. Beide Foren waren und
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