Meine Wut ist jung
sind bis heute unverzichtbar für die Menschenrechtspolitik weltweit, auch wenn die Mehrzahl ihrer Mitglieder kein ausgesprochen positives Verhältnis zu den Menschenrechten hat. Ich verweise nur auf meinen späteren Einsatz im Sudan, auf den ich noch zurückkomme. Meinungsbildend sind die Mitgliedsstaaten, zu denen auch sogenannte Unrechtsstaaten gehören. Aber auch zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen, sogenannte NGOs, sind regelmäßig präsent. Sie haben allerdings nur Rederecht. Dieses Forum in Genf ist Anlass, dass sich Vertreter der Unterdrückten aus aller Welt versammeln und ihre Forderungen öffentlich machen.
Das heißt, es wurden dort konkrete Beschwerden vorgetragen?
Es gibt regelmäßig Berichte und Resolutionen zu Situationen in einzelnen Ländern und zu zahlreichen Querschnittsthemen wie Folter, Religionsfreiheit, Hunger oder Unterdrückung von Frauen und Kindern. Allerdings musste ich mich bisweilen mit dem Vorwurf auseinandersetzen, in Genf würde ja nur Papier produziert. Ich konnte den Kritikern vor Augen führen, dass es sehr wichtig ist, in einem offiziellen Gremium der Vereinten Nationen die Realität der Menschenrechtsverletzungen wahrzunehmen, zu diskutieren und zu dokumentieren.
… und diese Erkenntnisse wurden öffentlich gemacht?
Ja, in offiziellen Dokumenten, auch durch Nennung von einzelnen Schicksalen, zum Beispiel von Folteropfern. Wenn eine Menschenrechtsverletzung die Öffentlichkeit erreicht, ist das schon unangenehm für die Täter. Aber oft steht eine Allianz der Täter untereinander gegen die Opfer. Sie versuchen, sich gegenseitig gegen die Kritik der Opfer zu schützen.
Wie haben denn die betroffenen Staaten auf die vorgetragene Kritik oder auf Opferlisten reagiert? Haben sie offiziell dazu Stellung genommen?
Natürlich haben sie sich gewehrt. Dabei habe ich eine interessante Erfahrung gemacht: Die verantwortlichen Machthaber wollen unter keinen Umständen hässlich erscheinen. Sie weichen aus und bestreiten den Sachverhalt. So behauptet beispielsweise der Iran gern, bei den Inhaftierten handele es sich nicht um politische Gefangene, sondern um Drogendealer. Wir - das ist immer der Westen, das ist Europa, das sind die USA, das sind Kanada, Australien und andere Demokratien - spüren die Menschenrechtsverletzungen auf, kritisieren sie und fordern die verantwortlichen Regierungen auf, die Menschenrechte zu respektieren. Oft haben wir für unsere Kritik keine Mehrheiten erhalten. Um diese zu erzielen, mussten Allianzen gebildet werden. Mein damaliger Mitstreiter in der Deutschen Botschaft in Genf - Michael Schaefer, der jetzige Botschafter in Peking - war darin sehr geschickt. Er ist ein außerordentlich befähigter Diplomat, der Initiativen entwickelte und der Menschenrechtspolitik in Genf neue Impulse gab. Unterstützt wurde er im Auswärtigen Amt von seinem Vorgesetzten Gunter Pleuger, dem späteren Staatssekretär, und von den jeweiligen deutschen Botschaftern in Genf. Mit Schaefer habe ich übrigens 1998 ein Buch herausgegeben: »Der Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen«. Darin haben wir gemeinsam mit anderen Autoren unsere Erfahrungen zusammengefasst. Meine Grundeinstellung bei der Menschenrechtsarbeit ist bis heute: Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung.
Einen Aspekt hatte ich bei meiner Arbeit in Genf vollkommen unterschätzt: die Nachwirkungen des Kolonialismus. Menschenrechtspolitik wird von der sogenannten Dritten Welt vielfach als Wiederbelebung des Kolonialismus empfunden. Selbst Indien, eine stabile Demokratie, war oft nur schwer zu überzeugen, sich uns anzuschließen. In Wahrheit beruhen alle Weltkulturen auf dem Schutz des Menschen und seiner Würde, auch wenn sie keine Phase der Aufklärung erlebt haben.
Kann man die These aufrechterhalten, dass Länder, die nach der Kolonialzeit in die Unabhängigkeit entlassen worden sind, in Afrika und anderswo, sehr wohl die Unterdrückungsmechanismen der Kolonialherren kopierten?
Ja, oft auch unter dem Einfluss des Ostblocks in der Zeit des Kalten Krieges. Zum Beispiel als die Bundesrepublik sich weigerte, nach der sogenannten Hallstein-Doktrin mit Staaten zusammenzuarbeiten, die die DDR anerkannt hatten. Andererseits mussten wir zum Beispiel mit Enttäuschung feststellen, dass sich Südafrika - nachdem es von der Apartheid befreit war - nicht konsequent für die Menschenrechte auf dem afrikanischen Kontinent einsetzte, als es etwa um die Katastrophe in Darfur ging.
Im Jahr 2013
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