Meine Wut ist jung
Ausbruch dieses Konflikts gewarnt. Die Ursache liegt in der politischen und ökonomischen Vernachlässigung dieser Region, die so groß ist wie Frankreich. Ich habe die Regierenden in Khartum zu überzeugen versucht, den Konflikt politisch zu lösen. Sie sind bis heute der Meinung, sie müssten militärische Gewalt anwenden und instrumentalisieren dazu Stammesfehden. Das heißt unter dem Strich: Sie haben Menschen verfolgt und vertrieben, insgesamt etwa zwei Millionen. Einige hunderttausend Menschen wurden getötet.
Bis heute ist in Darfur kein Frieden in Sicht. Die Menschen können vielfach nur mit humanitärer Hilfe von außen überleben, da sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Felder zu bestellen. Es ist der Völkergemeinschaft, auch den Europäern, nicht gelungen, die regierenden Nilaraber in Khartum so unter Druck zu setzen, dass sie einlenken. Ich bin immer davon ausgegangen, dass politischer und ökonomischer Druck etwas erreichen könnten. Aber das ist nicht geschehen, unter anderem, weil der Westen sich nicht einig war. Und deshalb kann sich die Clique um Staatspräsident Al-Baschir bis heute halten. Dabei hätten auch die im Lande wirtschaftlich engagierten Chinesen allen Grund, sich stärker für den Frieden einzusetzen.
Seit dem 1. Juli 2011 besteht der Sudan aus zwei Staaten - Nord- und Südsudan, aber der Krieg geht weiter. Der Präsident der Islamischen Republik Sudan, so heißt der Norden offiziell, Al-Baschir, unterdrückt jede Opposition mit Gewalt. Im Südsudan metzeln sich gegnerische Volksgruppen nieder. Ist der Sudan noch zu retten?
Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Es hat viele Treffen gegeben, auch unter meiner Beteiligung, mit dem Ziel, die Gruppen zusammenzubringen und Versöhnung zu erreichen. Die Kirchen spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Sudanbeauftragte der evangelischen Kirche, Marina Peter, betreibt diesen Prozess seit Jahren außerordentlich kenntnisreich, einfühlsam und entschieden. Ob der Sudan noch zu retten ist? Wir dürfen nicht nachlassen, es zu versuchen. Die Menschen dort wollen einfach in Frieden leben. Gerade im Sudan bin ich in meiner Meinung bestätigt worden, dass überall in der Welt - unabhängig von der Religionszugehörigkeit - die Menschenrechte eingefordert werden. Menschenrechtsbewusstsein ist dem Menschen angeboren. Es ist keine westliche Erfindung. Niemand will gefoltert, niemand will von einer Geheimpolizei verschleppt werden. Die Menschen wollen sich frei äußern, sie wollen sich versammeln, sie wollen unabhängige Zeitungen lesen. Zu sagen, in einer anderen Kultur gäbe es ein anderes Menschenrechtsverständnis, das halte ich für absolut falsch. Das ist allein ein Argument von Unterdrückern.
Nun hat ja vor Jahren der Internationale Strafgerichtshof beschlossen, dass Al-Baschir ausgeliefert wird. Er soll in Den Haag vor Gericht. Würde seine Inhaftierung den Konflikt lösen helfen?
Das wäre ein wichtiger Beitrag zum Frieden. Dass der Internationale Strafgerichtshof überhaupt tätig werden konnte, ist erst einmal ein Wunder. Denn das darf er in solchen Situationen nur mit Beschluss des Sicherheitsrates. Und dieser hat beschlossen, die Menschenrechtsverletzungen in Darfur zu untersuchen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Das war eine Jahrhundertentscheidung, mit der ich angesichts der Vetomächte China und Russland nicht gerechnet hatte. Sie haben sich aber überraschenderweise - ebenso wie die USA, die den Gerichtshof nicht anerkennen - der Stimme enthalten. Damit konnten die Ermittler tätig werden - gegen den Willen des Sudan, gegen den Willen seiner herrschenden Clique.
Es gab und gibt bis heute keine Kooperationsbereitschaft mit dem Gericht. Dennoch wurden die Schuldigen herausgefiltert: der Präsident und einzelne Personen, die Kriegsverbrechen begangen haben. Dass die Beschuldigten am Ende wirklich vor Gericht stehen, wäre zwar wichtig und würde zum Frieden beitragen, ist aber nicht allein entscheidend. Schon die Tatsache, dass nun Haftbefehle existieren, setzt ein Zeichen für die Opfer. Und schwächt die Täter. Überhaupt: Dass einzelne Personen für ihre Taten verantwortlich gemacht werden, ist eine neue Entwicklung, die schon unter anderem mit einer Reihe von Sondertribunalen zu Jugoslawien und Ruanda begonnen worden ist. Eines darf man in solchen Situationen allerdings nicht verkennen: Mitunter braucht man im Vorfeld einer strafrechtlichen Verfolgung die Machthaber selbst, um die gewünschte Konfliktlösung und Frieden zu erreichen.
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