Meine Wut ist jung
Frieden entscheidet.
Die Rolle des Bundesverfassungsgerichtes, das Sie ja oft erfolgreich bemüht haben, wird mitunter kritisch gesehen. Es wird ihm vorgeworfen, sich als eine Art Nebenregierung in die Berliner Politik einzumischen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Diese Kritik hat es immer gegeben und sie wird jetzt auch an den Europaurteilen des Gerichts geübt. Wenn man die Geschichte von vielen Tausend Entscheidungen des Verfassungsgerichtes analysiert, so ist festzustellen, dass sich die Richter in der Regel zurückhalten. Ihre Reputation besteht ja darin, die Politik sehr verantwortungsbewusst zu korrigieren, also nur im äußersten Falle dem Gesetzgeber einen Rahmen zu setzen. Bei Beanstandung legen sie kein neues Gesetz vor, sondern sie legen einen Rahmen für ein neues Gesetz fest. Daraufhin können die Parlamente ihre Gesetzgebungskompetenz wieder wahrnehmen. Der Spielraum für ihr politisches Handeln ist also durchaus gegeben. Der Gesetzgeber muss nicht alles tun, was nach der Verfassung möglich wäre. Er ist frei, sich nach sorgfältiger politischer Abwägung in verantwortlicher Weise in dem gesetzten Rahmen zu entscheiden.
Jetzt, im europäischen Einigungsprozess, spielt das Bundesverfassungsgericht eine besonders wichtige Rolle, wenn es die Mitwirkung des deutschen Gesetzgebers einfordert und die Rückwirkungen des zunehmenden Souveränitätsverlustes auf das Grundgesetz kritisch begleitet.
Das Verfassungsgericht hat sich mehrfach kritisch zu Sicherheitsmaßnahmen und zu Sicherheitsgesetzen geäußert, gegen die Sie und Ihre Freunde Beschwerde eingelegt haben. Worum ging es im Einzelnen?
Bei der Bekämpfung terroristischer Kriminalität haben sich unsere Staatsorgane nicht immer strikt an das Gebot der Menschenwürde gehalten. Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Entwicklung in einer Reihe von 14 Entscheidungen entgegengetreten. Ein bemerkenswerter Vorgang! Die Philosophie dieser Rechtsprechung hat der Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem wie folgt beschrieben: »Wenn man angesichts solch neuer Bedrohungsszenarien die Qualität des Rechtsstaates nicht aufgeben will, dann muss man die Prämissen des Rechtsstaates an diese neuartigen Gefährdungen und Instrumente anpassen, ohne sie aufzugeben.«
Niemand wird bestreiten, dass wir neuen Gefährdungen ausgesetzt sind, etwa durch islamistische Extremisten, und dass wir uns auf diese Gefährdungen einstellen müssen. Aber: Es gibt kein Grundrecht auf »innere Sicherheit«. Wir müssen lernen, mit Risiken umzugehen. Wir müssen alles tun, um sie zu vermeiden. Aber bei allem, was wir tun, dürfen wir nicht den Blick auf die Freiheit verlieren. Lauschangriff, Abschuss gekaperter Passagiermaschinen, Rasterfahndung, Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung - alle diese Themen waren bereits Gegenstand von im Ganzen erfolgreichen Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Ich möchte die wichtigsten Entscheidungen kurz ansprechen.
An dem Urteil gegen die Rasterfahndung nach »islamistischen Schläfern« war ich nicht unmittelbar beteiligt. Das Gericht hat entschieden, dass Grundrechtsbeeinträchtigungen nur dann zu rechtfertigen sind, wenn sich die Annahme einer Gefahr auf konkrete Fakten im Tatsächlichen stützt. Es muss also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben sein, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für ein Rechtsgut eintritt. Ein Generalverdacht kann solche Maßnahmen nicht rechtfertigen. Dieser Fall der Rasterfahndung nach dem 11. September wurde vom Gericht verboten.
Das Urteil zum Lauschangriff in Wohnungen hat eine besondere Beziehung zur FDP. Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger trat damals aus Protest gegen die Haltung ihrer Partei zurück, wurde später aber vom Gericht bestätigt. Heute übt sie dieses Amt erneut aus. Den Lauschangriff reduzierte das Gericht auf die Fälle schwerer und schwerster Kriminalität. Es werden jetzt hohe Anforderungen an seine Anordnung und an seinen Vollzug gestellt. In einen »Kernbereich privater Lebensgestaltung« darf der Staat nur im Ausnahmefall eindringen. Unter anderem hat das Gericht ausgeführt: »Zur Entfaltung der Persönlichkeit gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle, Ansichten und Erlebnisse höchst persönlicher Art zum Ausdruck zu bringen, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen.« Der Staat muss Freiräume zulassen, in denen die Menschen uneingeschüchtert von ihren Freiheitsrechten Gebrauch machen
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