Meine Wut rettet mich
ich nicht wusste, wie das weitergeht, weil ich es so ja gar nicht vorbereitet hatte. Ich empfand Freude, denn ich wusste, Gott wird durch mich in diesem Moment seine Wunder wirken an dem jungen Mann, mit der Gemeinde. Ich fuhr fort: »Also ich finde, der muss schon ziemlich stark sein. Wenn man sich vorstellt, dass er damals Brot brach und mit seinen Leuten Abendmahl feierte und heute, zweitausend Jahre später und Tausende Kilometer entfernt von Jerusalem, ist dieses Abendmahlbrot hier bei uns auf dem Tisch. Und um das bisschen Brot ist eine ganze Kirche rumgebaut worden. Das finde ich aber echt stark. Und man hat ihn sogar tot gemacht und er hat das überlebt. Und er hat das so überlebt, dass er uns heute hier zusammengeführt hat. So stark, dass seine Handlung überlebt hat bis heute, so stark ist der.« Und wir nehmen dieses Brot, seinen Leib, seine Energie jedes Mal in der Messe in uns auf, schöpfen daraus lebendige Kraft für uns heute. Der junge Mann hat mich vier Minuten nur angeguckt und die anderen auch. Das freut mich. Solche Situationen kann ich nicht planen. Ich kann sie nur mit dem, was ich Aufmerksamkeit oder »awareness« nenne, erfassen.
Ich weiß nicht, was er danach auf dem Nachhauseweg gesagt hat und ob er mich später als blöden Pfarrer beschrieben hat. Ich glaube auch nicht, dass ich Wunder tun kann. Ich versuche, wahrhaftig zu sein, authentisch, liebevoll, und den Menschen zu sagen, dass ich sie liebe und mag und erfüllt bin von dem Glauben, dass diese Welt eine gerettete Welt ist.
„ Ich versuche, wahrhaftig zu sein, authentisch, liebevoll. ”
Dann müsste ja alles gut sein.
Erlöst.
Und dann müssten die Pfarrer sich gar nicht ins Zeug legen und überzeugen wollen. Sie bräuchten nur die gerettete Welt zu feiern.
Nun, ein Mitbruder hat mir das mal gesagt, als er gesehen hat, wie ich mich anstrenge in Sachen Kirche, Medien, Seelsorge: »Mensch, Paulus, streng dich nicht so an. Die Welt ist doch schon erlöst.«
Wenn das so ist, wäre es ja kein Problem, dass Leute aus der Kirche austreten. Im vergangenen Jahr allein aus der katholischen Kirche in Deutschland 47 Prozent mehr als im Vorjahr. Denn sie bleiben ja sozusagen in der geretteten Welt.
Die Austritte sind auch kein Problem. Obgleich es um jeden Einzelnen schade ist. 180.000 sind ausgetreten, aber fast 25 Millionen Mitglieder sind noch dabei, 30 Prozent der Deutschen sind katholisch. 45 Die Kirche lebt ohnehin nicht von der Menge ihrer Mitglieder.
Das ist in der offiziellen Lesart der katholischen Kirche aber anders. 46 Da gilt der Austritt als Straftat. Und: Sie werben doch …
… für den Glauben, nicht für die Kirche. Es treten gute Bekannte aus der Kirche aus, aber es sind doch wunderbare Menschen. Oft Heilige. Ich will die nicht katholisch machen. Sie sollen ihr Leben leben, wie sie es eben wollen, und frei atmen können. Wenn Gott es will, wird er ihnen eines Tages zeigen, dass alles, was sie lebten, wenn es denn gut und richtig war, eigentlich genau das Evangelium ist.
Vor ein paar Jahren sind Sie durch die Talkshows gezogen und haben Mitglieder für Ihren Orden angeworben. 47
Ich wollte Männer ansprechen, die von Gott berufen sind, Kapuziner zu werden, und musste auffällige Formulierungen benutzen, damit jemand von mir berichtete; dieses Handwerk der Aufmerksamkeitsgewinnung kenne ich ja nun wirklich. Aber letztlich könnte ich noch nicht einmal wirklich werben. Wenn Gott will, dass einer Kapuziner wird, dann wird er das sowieso. Mit oder ohne Werbung. Nochmals: Ich will niemanden für die Kirche gewinnen. Ich will authentisch mein Christsein verkünden und freue mich über jeden, der begreift, welch eine wunderbare Freiheit das Christsein ist.
„ Ich will niemanden für die Kirche gewinnen. Ich will authentisch mein Christsein verkünden und freue mich über jeden, der begreift, welch eine wunderbare Freiheit das Christsein ist. ”
Stimmt die Ausbildung für künftige Priester noch? Wird im Theologie-Studium hinreichend gelehrt, wie sich Glauben gut kommunizieren und vermitteln lässt?
In der Tat: Man müsste deutlicher machen, wie wichtig es ist, sich auf dieses Wagnis zur Wandlung einzulassen, das für mich Verkündigung bedeutet. Die handwerkliche Ausbildung der Verkünder könnte einen Kreativitätsschub vertragen. Hätte ich in der Priesterausbildung etwas zu sagen, dann würde ich jedem ein Abonnement für Oper und Schauspiel zuteilen, jeder müsste sieben Stücke im Jahr ansehen und anschließend
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