Meine Wut rettet mich
darüber ein Gespräch mit den Akteuren führen. Und dann würde ich ordentlichen Gesangsunterricht und einen ordentlichen Literaturunterricht verordnen. Dazu müsste man aber die ganzen Ausbildungspläne revolutionieren, denn die sind vollgestopft mit akademischen Lehrinhalten. Da wäre kein Platz für mehr Stoff. Nötig wäre es aber. Ich erlebe ja auch bei Liturgien Priester, die bei einer Taufe aus einem Buch vorlesen: »Liebe Eltern, welchen Namen haben Sie Ihrem Kind gegeben?« oder bei einer Beerdigung Texte ablesen. Ich bin schon so lange Priester: Ich beerdige, ohne den Menschen oder dem lieben Gott etwas aus einem Ritus vorzulesen. Aber da ist wohl jeder anders.
Wären Sie bereit, sich für eine zeitgemäße Ausbildung einzusetzen?
Ja, das würde ich gerne machen.
Welche Pläne haben Sie da?
Keine. Ich würde einen solchen Vorschlag nie jemandem andienen. Da muss man schon auf mich zukommen. Ich fahre demnächst in ein Priesterseminar. Das ist so eine Gelegenheit, bei der ich vielleicht etwas bewegen kann. Vielleicht fangen die Feuer und merken, dass ich, obwohl ich wie eine bunte Kuh auftrete, doch ganz schön gläubig bin, und kriegen Lust, mit mir auch noch einen längeren Workshop zu machen, der sich nur damit beschäftigt: Wie trete ich auf als Mann? Wie bleibe ich standhaft, auch unter Beobachtung? Wie gelingt es, sich davon nicht beeinflussen zu lassen, sondern auszustrahlen: »Ich stehe hier, weil ich glaube, ja, weil ich fröhlich glaube«? Und wie entwickle ich mehr Gespür für den Raum und für die Situation? Mir wurden anfangs nur 80 Minuten Zeit gegeben; da wurde offenbar nicht genug überlegt. Ich habe gesagt, dafür mache ich mich nicht auf den Weg und reserviere extra Zeit zwischen meinen vielen Terminen. Wenn ich in das Seminar komme, dann will ich mindestens drei Stunden mit diesen Leuten arbeiten, und so machen wir es nun: Ich feiere mit ihnen die Messe. Dann erleben sie, wie ich das mache, und kriegen hoffentlich rasch Zugang dazu und auch zu meiner Glaubenserfahrung. Wir müssen echt sein. Gerade als Priester. Die Welt wartet auf echte Menschen. Und die katholische Kirche hat viele davon. Sie steht im Verruf, Marionetten herstellen zu wollen und ständig zu kopieren. Tatsächlich ist sie voller Originale. Teresa von Ávila, Johannes Paul II., Mutter Teresa – das waren alles Typen. Selbst ein verquast redender Pfarrer wird geliebt, wenn er echt verquast ist. Wir suchen das Echte. Und Jesus ist das Echtheitszertifikat Gottes für den Menschen.
„ Die Welt wartet auf echte Menschen. Und die katholische Kirche hat viele davon. ”
Wäre das der Schlüssel für vitale Gemeinden: mehr Echtheit?
Ja.
In Wirklichkeit finden sich dort viele moralinsaure Kirchenfunktionäre …
Jeder Kirchenfunktionär sollte sich über seinen Schreibtisch den Satz hängen: Fürchte dich nicht.
Fürchten? Warum? Und wovor?
Auslöser dieser Furcht ist die Postmoderne und die Postpostmoderne mit ihrer unendlichen Zahl an Sinn-Angeboten, an Möglichkeiten und Eventualitäten. Als Reaktion darauf haben gerade kirchliche Amtsträger, aber auch Laien das Denken zurückgeschraubt. Man agiert einfach immer nur im selben Muster, pflegt einen Ritualismus im Wort, wiederholt ewig dieselben Sätze, beschränkt sich auf ritualisierte Auftritte. Eine normale menschliche Regung wird schon fast als Fehler angesehen. Das ist meiner Meinung nach ideologisch. Es wäre gut, wenn gerade auch Funktionäre weniger Angst hätten, selbstbewusst, echt und präsent den Glauben vorzuleben.
Und auch weniger selbstherrlich? Besonders die hohen Würdenträger treten oft auf, als wüssten sie allein und ganz genau, wie alles funktioniert.
Diesen Eindruck hat man manchmal. Doch da wird auch nur mit Wasser gekocht. Und sie haben es auch nicht leicht, sie werden oft hintergangen, sind gefangen durch das System. Kommt ein Bischof in ein Generalvikariat mit 900 Mitarbeitern, kann er nicht alles durchblicken, sondern lebt von Beratern und deren Aussagen, ohne wirklich zu wissen, von welchen Quellen diese leben. Hinzu kommt: Alle sind wohlbestallte Kirchenangestellte mit Zusatzversorgungskasse und vielen Sicherheiten. Manche von denen wissen oft wirklich nicht, was an der Basis passiert, und interessieren sich auch nicht sonderlich dafür. Das ist aber wiederum vor allem ein deutsches Problem.
Leute wie Sie könnten öffentlich von diesen Kirchenmännern verlangen, sich mehr für einfache Menschen zu interessieren. Denn Sie erklären
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