Meine Wut rettet mich
ja sogar, dass dies ein Kern der Kirchenarbeit ist.
Das geht nicht. Die katholische Kirche in Deutschland ist durch das Kirchensteuersystem so unendlich reich, vor allen Dingen reich an Sicherheit. Da muss sich niemand bewegen. Es lässt sich auch kaum jemand bewegen, solange automatisch das Geld in die Kasse fließt.
Die wachsende Zahl der Kirchenaustritte senkt ja dieses Steueraufkommen. Manche Kirchenleute befürchten, man müsse bald schon Kirchen schließen. Sie müssten ja fast auf knappe Kassen hoffen, damit sich etwas bewegen lässt …
Ich kann da nur franziskanisch antworten: Der Reichtum ist das größte Hindernis, dem Reich Gottes fröhlich entgegenzugehen.
Sie erhalten aber auch Gelder aus Kirchensteuermitteln.
Ja, sobald wir priesterlich arbeiten und eine Ortskirche das anerkennt. Wir in Frankfurt erhalten drei Bestellungsgelder. Wir sind aber zehn Brüder. Auch Orden leben von diesem Kirchensteuersystem. Aber der Verdienst liegt in anderen Dimensionen. Das macht es einfacher.
Ihrer Auffassung nach macht also die Kirchensteuer oft bequem. Wo würden Sie ansetzen, um etwas zu bewegen?
Ich würde die Kirchensteuer sofort abschaffen und eine Kultursteuer einführen wie in Italien. Jeder Bürger des Landes kann Jahr für Jahr selbst bestimmen, wer die drei Prozent seiner Einkommenssteuer erhält. Das können die Kirchen sein, aber auch andere.
Wie realistisch ist eine solche Idee?
Diese Art Steuer kommt mittelfristig. Die jungen Kirchenrechtler sind gerade dabei, Selbstverständlichkeiten neu zu durchdenken. Ob sich der Staat mit einer Änderung, wie ich sie angedeutet habe, einen Gefallen tut, wird man sehen. Sicher ist: Manche wichtige Aktion kann nicht gestartet werden, weil das katholische Geld in zu wenigen Händen ist. Ein privater katholischer Fernsehsender ist in Deutschland nicht finanzierbar, weil die daran interessierten Katholiken alle Kirchensteuer bezahlen, ihr Geld also in einen zentralen Topf geben. Es müssten nun auch noch die, die den Topf verwalten, für einen solchen Sender sein. Das sind sie aber nicht. Deshalb passiert da nichts. Das heißt, diejenigen, die einen Sender wollen, müssen aus der Kirche austreten und mit dem Geld, das sie vorher als Steuer zahlten, dieses Projekt finanzieren …
Sie könnten sozusagen Wut-Katholik werden und für Ihre Interessen demonstrieren …
… mmh, ja, das könnte ich. Vielleicht mache ich das ja mal noch. Ich habe ohnehin nichts zu verlieren. Denn ich habe ja nichts.
Neben dem Zugriff auf die Töpfe gibt es ein weiteres Problem: Das Geld wird von oben nach unten verteilt.
Das müsste man dringend umkehren: Jede Pfarrei muss das Geld der Kirchensteuerzahler erhalten, die im Pfarreigebiet leben, und autonom entscheiden, wie viel von diesem Geld der Bischof erhält. Nicht umgekehrt. Die Schweiz macht das ja vor. Mit all dem, was das nun wieder an Problemen mit sich bringt.
Inwiefern liegt das an einer Art Demokratievergessenheit vor allem bei den kirchlichen Entscheidungsträgern?
Das spielt eine Rolle und hier zeigt sich wieder ein typisch deutsches Problem. Hier strukturiert man gerne alles von oben nach unten durch und hat deswegen mit dem Katholisch-Sein spezielle Schwierigkeiten. Denn tatsächlich hat die Kirche eine ganz tolle Botschaft: Weltzugewandtheit ist Markenzeichen des Katholischen. Unsere Welt zu gestalten, mittendrin zu sein in ihr, ist unsere Aufgabe. Wir haben einen Weltauftrag. In der protestantisch geprägten DDR waren nach der Wende die meisten Politiker der ersten Generation katholisch. Denn der Katholizismus hat sich das Weltzugewandte auf die Fahne geschrieben, er will mitgestalten und mitverändern über Glaubenswerte. Die deutsche Mentalität hingegen ist ausgerichtet auf das Verordnen.
„ Weltzugewandtheit ist Markenzeichen des Katholischen. Die deutsche Mentalität hingegen ist ausgerichtet auf das Verordnen. ”
Wie lässt sich da ansetzen?
Mir geht dazu das Wort Erweckung durch den Kopf. Wichtig wäre eine Erweckungsbewegung, bei der man Gemeinden einlädt, vergleichbare Erfahrungen zu machen, wie ich zu Beginn meines Bekehrungsweges.
Zu was erwecken?
Die Gemeinden, ja, wir alle sind im christlichen Glauben eingeladen zu einem weltverwandelnden Miteinander. Wir müssen spüren: »Wir treffen uns nicht, weil die Kirche das gesagt hat oder weil es eine Vorschrift gibt, sondern weil wir das wollen.« Nicht müssen, sondern wollen. Plötzlich empfinden wir zweieinhalb Stunden Gottschalk gucken als nicht
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