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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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Schäferhund um einen Drogenhund
     handelte und er bei mir nicht fündig geworden war – von diesen Dingen hatte ich damals noch nicht die geringste Ahnung. Später
     habe ich dann verstanden, warum der Orient-Express auch «Haschisch-Express» genannt wurde.
    Es folgte der nächste Grenzer. Mittelgroß, schwarze Haare, dunkle, wache Augen, die mich eingehend musterten. Vor seinem Oberkörper
     trug er einen Bauchladen mit einem aufgeschlagenen Buch und einigen Stempeln, soweit ich das erkennen konnte.
    «Kann ich Ihren Pass sehen?», fragte er. Sein Deutsch hatte einen schweren jugoslawischen Akzent.
    Ich musste mich zusammenreißen, damit meine Hand nicht zitterte, als ich ihm meinen Behelfsausweis reichte. Im nächsten Moment
     würde sich mein Schicksal entscheiden. Es gab keine Ausweichmöglichkeit, in diesem Abteil saß ich fest.
    «Wo kommen Sie her?»
    «Aus Belgrad», antwortete ich. «Ich war mit einer Gruppe dort.» Das zu sagen hatte mir noch der Botschafter geraten.
    Lange sah sich der Grenzbeamte meinen Pass an, sagte aber kein weiteres Wort. Stimmte irgendetwas nicht? Erkannte er die Fälschung?
    Plötzlich sagte er: «Haben Sie etwas mit Sport zu tun? Kennen Sie Subotica?»
    |33| Das Spiel war aus. Wer solche Fragen stellte, der konnte nur Bescheid wissen.
    «Nein», sagte ich. «Ich kenne Subotica nicht.»
    «Sie arbeiten wirklich nicht im Sport?»
    «Nein.»
    Der Grenzer musterte mich erneut, danach verließ er das Abteil – und zwar mit meinem Pass. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
     Warum hatte er ihn mir nicht wiedergegeben? Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Meine Flucht war missglückt, aus dem Fenster
     konnte ich nicht fliehen. So hilflos hatte ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt.
    Nach ungefähr zehn Minuten kam der Beamte zurück – eine verdammte Ewigkeit. Vor lauter Angst war ich völlig durchgeschwitzt.
     Er gab mir meinen Ausweis zurück, schaute mir fest in die Augen, lächelte und sagte: «Und nun, Herr Berger, viel Glück im
     Westen!»
    Natürlich durfte ich nicht laut schreien, doch wenn es möglich gewesen wäre, ich hätte es sofort getan, um den Druck, der
     sich in mir aufgestaut hatte, herauszulassen. Ich war erkannt, aber nicht verhaftet worden!
    Das Problem war, wie ich im Nachhinein annehme, dass ich nicht mehr auf dem Platz saß, den mir die deutsche Botschaft gebucht
     hatte. Man hatte anscheinend dafür gesorgt, dass ein Grenzer für diesen speziellen Waggon eingeteilt wurde, der mit der deutschen
     Botschaft zusammenarbeitete. Das durfte man mir aber nicht erzählen. Hätte ich all dies geahnt, ich wäre in dem vollen Sechserabteil
     geblieben, wäre nicht ans andere Ende des Zuges umgezogen.
    Ich hatte Glück, dass der Grenzbeamte, der in mein Abteil kam, allein war – und auf meiner Seite. Aller Wahrscheinlichkeit
     nach war er draußen auf dem Gang stehen geblieben und hatte so getan, als würde er mithilfe seines Buches meine Angaben überprüfen,
     so lange, bis seine ganzen Kollegen vorbeigezogen waren. |34| Denn kurz nachdem ich meinen Ausweis wiederbekommen hatte, war die Kontrolle beendet.
    Aber warum fuhren wir jetzt nicht los? Ich wurde wieder unsicher. Konnte doch noch etwas schiefgehen? Langsam, viel zu langsam,
     rollte der Zug an und passierte eine Eisenbahnbrücke über die Gurk, deren Namen ich einem Schild entnehmen konnte. Auf der
     anderen Seite entdeckte ich einen Grenzpfahl mit einem weiteren, rot-weißen Schild, auf dem «Republik Österreich» stand. Ich
     schob das Abteilfenster nach unten und brüllte den Pfahl an: «Ich habe es geschafft!»
    Die Furcht fiel augenblicklich von mir ab. Ein neues Leben sollte beginnen, wobei ich das alte keineswegs vergessen wollte.
     In welchem Ausmaß und auf welche geradezu kriminelle Weise es sich immer wieder in mein Bewusstsein drängen würde, das konnte
     ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen.

|35| 3
Hochhaustorte und Pioniergrüße
    |36| Gerade drei Monate war ich alt, als meine Mutter Gertrud im Januar 1945 über Beziehungen Bord-, sogar Kabinenkarten für die
     «Wilhelm Gustloff» erhielt. Sie arbeitete im Rathaus von Danzig als Stenotypistin, lebte aber im nahe gelegenen Gotenhafen
     (heute Gdingen). Und dort lag auch die «Gustloff», ursprünglich ein Kreuzfahrtdampfer der NSDA P-Organisation «Kraft durch Freude». Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war er zum Marinelazarett umfunktioniert worden und diente danach
     als schwimmende Kaserne. Nun aber hatte der

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