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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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Leben auf dem Land ein tiefer Einschnitt, vorbei
     war es mit der großen Freiheit. Ich fühlte mich in der Siedlung in Reudnitz, im Osten von Leipzig, in meinem Bewegungsdrang
     anfangs eingeengt. Auf dem Hof des viereckigen Blocks zu spielen, war etwas anderes, als durch die Wälder und weitläufigen
     Wiesen zu streunen.
    «So klein war die Wohnung von Frieda überhaupt nicht», versuchte meine Mutter immer mich zu korrigieren, wenn ich im Nachhinein
     über die beengten Verhältnisse sprach. Doch keine Frage, sie war klein. Nach der Wende habe ich sie mir angeschaut. Ein schmaler
     Flur, von dem aus das Wohnzimmer und der Schlafraum meiner Eltern abgingen – auch diese Räume waren eher schlauchartig als
     geräumig zu nennen   –, dazu eine winzige Küche mit Balkon, ein Bad, in dem man sich gerade um sich selbst drehen konnte, und Friedas Kammer.
    Das Unangenehme war, dass ich mir dieses Zimmer mit meiner Oma, sosehr ich sie liebte, teilte. Es hatte eine Fläche von etwa
     neun Quadratmetern, auf denen unsere beiden Betten standen, |39| aber auch die Kleider sowie meine ganzen Spielsachen Platz finden mussten. Zwar sprachen meine Eltern immer davon, sich eine
     eigene Wohnung nehmen zu wollen, doch ich bin davon überzeugt, dass sie dies nur sagten, ohne sich in den ersten Jahren wirklich
     darum zu bemühten. Beide gingen tagsüber arbeiten – und so war es äußerst bequem, dass Frieda auf mich aufpassen konnte.
    Eigentlich bekam ich meine Eltern selten zu Gesicht. Sie gingen früh aus dem Haus und kehrten erst abends wieder. Ich war
     in dieser Zeit auf dem Hof oder trieb mich auf einem nahe gelegenen Fußballplatz herum – er wurde «wilder Platz» genannt,
     da eben nichts «organisiert» war. Beeindruckt schaute ich den älteren Jungen beim Spiel zu. Punkt sieben Uhr hatte ich wieder
     zu Hause zu sein, denn dann wurde bei uns gegessen. Danach musste ich ins Bett. Nie werde ich vergessen, dass zu dieser Uhrzeit
     im Sommer meine Freunde Wolfram, Günther, Regina und Margot noch draußen spielen durften. Einmal stand ich flennend in meinem
     Pyjama am Fenster und klagte laut: «Nichts hat man vom Leben, ich ziehe aus!» Nach einer Weile hatte meine Mutter die Nase
     voll von meiner Heularie, ging auf den Dachboden und kehrte mit einem Koffer wieder, den sie mir vor die Füße knallte. «So,
     dann packen wir mal», forderte sie mich auf. «Na, das muss ja nicht gleich heute sein», antwortete ich daraufhin kleinlaut.
    Friedas Erziehungsmaßnahmen waren noch einprägsamer. Sie war füllig, sehr resolut und insgesamt das, was man allgemein eine
     robuste Frau nennt. Die Musik bestimmte sie, und meist war diese ungewöhnlich temperamentvoll. Ihr Haar hatte sie straff nach
     hinten geknotet, und ihre dunklen Augen konnten blitzen, wenn sie mit deftigen Ausdrücken um sich warf. Hatte ich etwas ausgefressen,
     schmiss sie mir auch mal ihre Hausschuhe oder andere Gegenstände hinterher. «Der verfluchte Schweinehund», rief sie dazu aus.
     Zur Bestrafung durfte ich dann am nächsten Sonntag nicht in die Kindermatinee gehen. Und das tat weh, denn die |40| wöchentlich wechselnde Kinovorstellung war der Höhepunkt der Woche. Aber da gab es kein Erbarmen, Frieda war knallhart, außer   …
    Es gab eine einzige Möglichkeit, diese Strafe wieder aufzuheben: Kuchen. Frieda war ein Mensch, der gern aß. Wenn ich fragte:
     «Oma, soll ich zum Augustusplatz fahren?», hatte ich sie fast schon um den Finger gewickelt. Nichts verspeiste sie lieber
     als die «Hochhaustorte» einer berühmten Konditorei, die sich im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Gebäudes an dem größten Platz
     Leipzigs befand, der inzwischen Karl-Marx-Platz hieß. Sie war, was man unter einer echten «Kaffeesächsin» verstand. Und wenn
     sie mir daraufhin das Geld für die Straßenbahn zusteckte, erhielt ich meist auch die 50   Pfennig fürs Vormittagskino.
    Frieda war eine Autorität für mich. Meinem Vater ging es ähnlich – auch er ordnete sich ihr unter. Das verstand meine Mutter
     nicht immer oder wollte es nicht akzeptieren. Sie hatte ihren eigenen Kopf und kam häufig mit der vorherrschenden Kleinbürgerlichkeit
     bei uns zu Hause nicht zurecht, mit der Sesshaftigkeit meines Vaters, der alles hinnahm und sich das Leben mit einem kleinen
     Bekannten- und Verwandtenkreis gemütlich und bequem eingerichtet hatte. Vielleicht waren dies auch Auswirkungen der Kriegsgefangenschaft.
     Aber da er wie die meisten seiner Generation so gut wie

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