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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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zu mir, als ich mich am Montag bei ihm in
     seinem Büro auf dem Gelände des Ernst-Abbe-Sportfeldes meldete. Ich hatte ihm verschwiegen, dass ich eigentlich für die Forschung
     vorgesehen war, dachte, dass es besser sei, wenn ich ihn erst gar nicht verunsicherte. Nach der Begrüßung stellte er mich
     der Mannschaft vor und zeigte mir das Stadion und die anderen Vereinseinrichtungen.
    Im Laufe des Tages rief Hans Müller aufgeregt an: «Du bist also doch in Jena! Dann scheint es tatsächlich zu stimmen, dass
     du nicht beim Wissenschaftlichen Zentrum Fußball angetreten bist. Man hat mir mitgeteilt, dass dein Büro unbesetzt geblieben |88| ist. Wieso bist du in Jena, die warten doch auf dich in Abtnaundorf?»
    «Ich will da nicht hin.»
    «Und was machen wir jetzt?» Ich hörte durchs Telefon schweres Atmen, eine unendliche Anzahl von Schweißperlen musste Müller
     auf der Stirn gestanden haben. Das passierte immer, wenn er mit einer schwierigen Situation zu tun hatte.
    «Können wir das hier in Jena nicht durchziehen?» Ich wagte einen Vorstoß.
    Irgendwie schaffte es Müller, dass ich die nächsten zwei Jahre in Jena bleiben konnte. Wahrscheinlich war das nur möglich,
     weil er angesichts der leeren Gänge in der Berliner Storkower Straße, wo der Deutschen Turn- und Sportbund untergebracht war,
     in seiner Hilflosigkeit keine andere Alternative sah. Sicher bin ich mir aber nur, dass sich Professor Döbler für mich eingesetzt
     haben muss.
    In diesen zwei Jahren merkte ich, dass ich keinen Co-Trainer abgab. Es war mir unmöglich, mich ständig unterzuordnen. Kein
     Wunder, dass Jena in meiner Trainerkarriere der einzige Ort ist, an dem ich in dieser Funktion tätig war. Ich hatte einiges
     an der Sporthochschule gelernt oder in meiner Zeit als Spieler anderen Trainern abgeschaut, das ich nur zu gern umgesetzt
     hätte. Deshalb war für mich nichts interessanter, als wenn ich bei individuellen Trainingseinheiten mit Spielern selbständig
     arbeiten konnte. Eine vergleichbare Möglichkeit ergab sich, als der Fußball-Verband bei mir anfragte, ob ich ein Aufbautraining
     für den verletzten Spieler Bernd Bransch in Warnemünde übernehmen wolle. Bransch und ich hatten zusammen in der Juniorenauswahl
     gespielt, jetzt war er Kapitän der Nationalelf und musste für die WM fit gemacht werden. Das Ganze sollte in meinen Urlaubswochen
     stattfinden, aber in jener Zeit akzeptierte ich jedes Angebot – unter anderem deshalb, weil meine Ehe nicht gut lief und ich
     immer Zeit hatte.
    In Warnemünde brachte man uns im Gästehaus der SED unter, |89| dem Haus Stolteraa. Das ehemalige Hotel Hohenzollern lag am Strandweg, mit Blick aufs Meer – wie immer befanden sich die SE D-Häuser an den schönsten Plätzen. Ein Luxus schlug mir in meinem Zimmer entgegen, dass ich dachte, ich wäre in einem Hotel im Westen.
     Sogar Lux-Seife gab es, und abends wurde den Parteibonzen Champagner und West-Bier kredenzt. Keiner musste eine Unterschrift
     leisten, die Rechnung beglich die Partei. Sobald ein Glas leer war, wurde sofort nachgeschenkt. Zum ersten Mal sah ich, wie
     die Obersten eigentlich lebten. Verlogen, das war der richtige Ausdruck dafür, wenn mir auch bewusst war, dass ich in diesem
     Moment selber dazugehörte. Es gab Spargel zu essen, nie hatte ich dieses Gemüse auf einer Speisekarte im Osten gesehen. Gleichwohl
     zögerte ich nicht, bei all diesen Dingen zuzuschlagen.
    Eines Abends gingen Bernd, der für ein Jahr vom Oberliga-Absteiger Halle nach Jena delegiert worden war, und ich ins Hotel
     Neptun, in dem auch Uwe Barschel später verkehrte. Es besaß sowohl im oberen wie im unteren Bereich eine Diskothek, jeweils
     mit einer hochmodischen rundförmigen Bar ausgestattet. Schnell fanden wir Anschluss unter den weiblichen Gästen. Doch als
     Bernd irgendwann erzählte, dass wir im Haus Stolteraa untergebracht waren, wollten die Frauen auf einmal nichts mehr mit uns
     zu tun haben. Sie dachten sofort, wir wären von der Staatssicherheit, und ließen sich auch nicht mehr davon abbringen. Bernd
     verstand die Welt nicht mehr, ich war verärgert über seine Naivität.
    Als das Aufbautraining vorbei war, wollte ich weiterhin selbstbestimmt trainieren. Mein Trainerassistenten-Job füllte mich
     nicht aus, ich fühlte mich nicht bestätigt. Beim Oberligisten FC Carl Zeiss Jena Cheftrainer zu werden, stand so schnell nicht
     zu erwarten; Meyer und Stange, die in der Hierarchie vor mir kamen, waren schließlich beide jung. So

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