Meine zwei Halbzeiten
einfach zu einem anderen
Verein wechseln konnte ich aber auch nicht. Ich musste dringend eine Perspektive für mich entwickeln. Das ging jedoch nur,
indem ich abermals ein im Sinne der Funktionäre nicht ganz legales Ding |90| durchzog. Dabei kam mir erneut ein sportliches Großereignis zu Hilfe, die Fußballweltmeisterschaft in der Bundesrepublik.
Die Deutsche Demokratische Republik hatte sich 1974 zum ersten (und einzigen) Mal für eine Fußballweltmeisterschaft qualifiziert
– und als Jürgen Sparwasser vom 1. FC Magdeburg in Hamburg das 1 : 0 gegen die westdeutsche Mannschaft schoss, war kein Halten mehr. Kurz vor der WM war mein Club durch einen Sieg über Dynamo
Dresden in Leipzig Pokalsieger geworden. Es gab also genügend Gesprächsstoff, keiner interessierte sich so richtig dafür,
was ich tat.
Ich hatte nämlich erfahren, dass ein Posten als Trainer beim Halleschen FC (HFC) frei werden sollte, der gerade wieder in
die Oberliga aufgestiegen war, und zwar in der zweiten Mannschaft. So groß der Unterschied zu Jena auch war, dennoch war ich
bereit, von einem geförderten Club dorthin zu gehen und die zweite Mannschaft zu trainieren. Immerhin konnte ich sie als Cheftrainer
führen. Auf andere wirkte das wie eine Niederlage, ich sah es nur als Umweg zum Erfolg.
Nachdem man mir in Halle versichert hatte, dass ich dort auch wirklich anfangen könnte, musste ich die ganze Angelegenheit
geschickt einfädeln. Die Sportfunktionäre sollten mich als geeigneten Kandidaten für diesen Job ansehen. Hans Müller musste
wieder daran glauben, der stark schwitzende Müller. Ihn hatte ich auf meine Seite zu bringen, damit Werner Lempert, der Generalsekretär
des Fußball-Verbands, alles absegnete. Ich startete das Unternehmen Halle also bei Müller. Er hatte mir schon einmal geholfen,
er konnte es vielleicht auch ein weiteres Mal für mich hinbiegen. Natürlich durfte ich ihm nicht in aller Direktheit sagen,
dass ich das Ziel hätte, selbst Cheftrainer zu werden, das musste ich strategisch klüger angehen.
«Ich würde gern nochmal was anderes sehen», sagte ich zu ihm am Telefon. «Außerdem möchte ich gern näher bei meiner Frau und
meinem Sohn sein. Die Strecke Jena – Leipzig ist nicht gerade |91| die kürzeste, wenn man eine Familie hat. Gibt es nicht vielleicht eine Möglichkeit für mich, woanders im Fußball zu arbeiten?»
Natürlich hatte ich nichts dagegen, während der Woche in Jena zu wohnen und mein eigenes Leben zu führen, aber das musste
Müller nicht unbedingt wissen. Dass ich meinen Sohn vermisste, stimmte allerdings wirklich. Ron war fast vier Jahre alt, von
seinem Vater hatte er bislang wenig mitbekommen.
«Es gibt bei einem anderen Verein gerade keine freie Planstelle.» Müllers Atem wurde augenblicklich schwerer. Wieder einmal
stellte ich ihn vor Probleme. Seiner Stimme war deutlich zu entnehmen, dass ich gefälligst in Jena bleiben sollte. Jetzt half
nur noch der frontale Angriff: Ich eröffnete ihm, dass ich beim HFC anfangen könnte. Nachträglich wunderte ich mich selbst
über meinen Mut.
Die Pause, die nun folgte, war mir schon bestens bekannt. «Wenn das stimmt, dann geh nach Halle.» Müller seufzte tief und
lang. Ich fand mich in diesem Moment ziemlich clever, da ich wie so manches Mal in meinem Leben die richtigen Worte gefunden
hatte, um meine Ziele zu erreichen. Zwar ging es im DD R-System diktatorisch zu, aber manchmal gab es eben doch eine Hintertür.
Kurz vor meinem Weggang aus Jena war ich noch an einer politisch damals nicht gerade korrekten Aktion beteiligt. Unsere Skatrunde,
an der auch Bernd Stange teilnahm, der spätere Fußballnationaltrainer der DDR, veranstaltete einmal im Jahr in einem kleinen
Gartenlokal bei geschlossener Gesellschaft ein Essen mit Sauerbraten und Thüringer Klößen. Mehrere Stunden standen Stange,
zwei, drei andere Sportfreunde aus Jena und ich in der Küche, um dem Wirt und seiner Frau tatkräftig bei den Vorbereitungen
zu helfen. Zwischendurch spielten wir die eine oder andere Runde Skat, tranken Bier und Schnaps. Nach dem Essen stellten wir
fest, dass wir viel zu viele Klöße gemacht hatten. Es kam, wie es nicht kommen durfte. In einem nicht mehr ganz nüchternen
Zustand zielten wir auf eine freie Wand, an der einzig das |92| Bild von Erich Honecker hing. Dummerweise traf ich schon beim ersten Wurf den Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden der
DDR, und zwar mitten ins
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