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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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Gesicht. Von dort aus lief der ganze Matsch an seinem gestärkten weißen Hemd hinunter wie auch an
     dem Jackett samt Parteiabzeichen, dem sogenannten Bonbon. Wir durften gar nicht daran denken, was für Folgen diese Aktion
     für uns haben konnte. Zum Glück hatten alle geworfen – und niemand konnte womöglich den anderen anschwärzen.
     
    Bald darauf verabschiedete ich mich von Meyer, Stange und der Jenaer Mannschaft. Ich fuhr nun jeden Morgen um sieben Uhr mit
     dem Zug von Leipzig nach Halle, rund vierzig Kilometer. Zu Fuß lief ich vom Bahnhof zum Clubcasino, von dort ging es mit einem
     Bus zum Trainingsfeld. Zwei Jahre lang folgte ich diesem Ritual, von 1974 bis 1976.
    In der zweiten Mannschaft des HFC gab es sehr junge Spieler, darunter große Talente, etwa Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl,
     die später in die Bundesrepublik flüchteten. Mit ihnen konnte ich viele von meinen Trainingsideen umsetzen. Junge Spieler,
     das bedeutete jedoch, manchmal zu merkwürdigen Erziehungsmethoden greifen zu müssen. Es war aber auch nicht so, dass einige
     von ihnen es einem immer leicht machten, insbesondere Nachtweih und Pahl nicht. Eines Tages kam Ersterer mit einem blauen
     Auge zum Training.
    «Woher haben Sie das?», fragte ich.
    «Beim Training zugezogen», erwiderte Nachtweih.
    Ich glaubte ihm kein Wort, das Veilchen sah eindeutig nach einer Kneipenschlägerei aus. Was er mir auch bestätigte, als ich
     ihm im Westen wiederbegegnete. Ich weiß nicht mehr, zu welcher Strafe ich ihn verdonnerte, aber später lachten wir darüber.
    Ein anderes Mal waren meine Mannschaft und ich zu einem Empfang etwas außerhalb von Halle eingeladen, ein Bus würde uns dorthin
     fahren. Dresscode: kein Krawattenzwang, aber man |93| sollte ordentlich angezogen sein. Nach und nach holten wir die Spieler an verschiedenen Haltestellen ab, schließlich fehlte
     nur noch einer. Schon von weitem sah ich, dass er aussah wie Jesus, der sich gerade anschickte, übers Wasser zu gehen. Er
     trug ein buntes Flatterhemd über einer Ost-Jeans, an den Füßen irgendwelche Latschen. Kein Aufzug für ein Bankett. Ich sagte
     zu dem Busfahrer: «Fahren Sie ganz langsam an den Straßenrand heran, aber halten Sie nicht, rollen Sie einfach weiter.» Als
     der Spieler merkte, dass der Busfahrer nicht stoppte und die Tür aufmachte, verstand er die Welt nicht mehr. Er lief kurz
     hinter dem Bus her, weil er glaubte, man hätte ihn übersehen. Schließlich gab ich dem Fahrer zu verstehen: «Gas geben!» Danach
     war dieser Spieler bei offiziellen Veranstaltungen immer korrekt gekleidet.
    Ähnlich konsequent war ich bei dem Thema Pünktlichkeit. Wenn ich sagte, dass die Abfahrt für ein Auswärtsspiel um neun Uhr
     morgens sei, dann fuhren wir auch um neun Uhr morgens ab. Bei mir wurde nicht gewartet. Wer zu spät erschien, musste sich
     ins Auto setzen oder mit dem Zug nachkommen.
    Halle war für mich sehr wichtig, um Erfahrungen zu sammeln und meine Ideen in der Praxis zu erproben. Doch noch in einer anderen
     Hinsicht war dieser Ort für mich bedeutsam. In Halle traf ich eine schwerwiegende Entscheidung, bei der ich über meinen eigenen
     Schatten sprang: Ich wurde Genosse. Es hatte schon immer Anwerbungsversuche gegeben, aber bislang war ich standhaft geblieben.
     Einmal gab ich einem solchen Anwerber zu bedenken: «Es muss doch auch gute parteilose Kommunisten geben.» Er verstand mich
     nicht, schaute mich nur ratlos an. Seine Irritation war so groß, dass er nicht einmal den in diesem Moment üblichen Standardsatz
     anführte: «Wenn du ein guter Kommunist bist, dann zeige das auch.» Um das Zeigen, darum ging es immer.
    Wäre ich gefragt worden, warum ich schließlich doch einem Parteieintritt zustimmte, hätte ich nur eine Erklärung abgeben können:
     Ich will Cheftrainer in der Oberliga werden. Und um dieses |94| Ziel in einer Diktatur wie der der SED zu erreichen, müsse man in die Partei eintreten. Mit dieser Feststellung beschwichtigte
     ich mich selbst. Natürlich hätte ich nicht Mitglied der SED werden müssen, wenn ich meine Karrierewünsche aufgegeben hätte.
     So aber gab es keine Alternative.
    In der Folge suchte ich immer wieder nach Rechtfertigungen, um nach diesem Schritt weiterhin in den Spiegel schauen zu können.
     Wenn ich nicht gerade die Partei beschuldigte, die so allmächtig wäre, dass sie mir ansonsten nie eine Chance geben würde,
     beruhigte ich mich damit, dass ich keineswegs einer dieser typischen Genossen sein

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