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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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angesprochen
     werden, was zu sagen war, wenn man sie abzuwerben versuchte und ihnen dieses oder jenes versprechen würde. Am Schluss hieß
     es: «Wir sind ein starkes Kollektiv, bei uns wird es keinen Verräter am Sozialismus geben.» Das war eine Anspielung auf die
     Flucht von Jürgen Pahl und Norbert Nachtweih, die einen Monat zuvor ein E M-Qualifikationsspiel der U-2 1-Nationalmannschaft gegen die Türkei in Bursa genutzt hatten, um von dort über Istanbul nach Westdeutschland zu kommen. Da man bei beiden Spielern
     keine politischen Motive ausmachen konnte, es den «unpolitischen» Flüchtling aber nicht gab, waren sie in die Fänge der «Bonner
     Chauvinisten» geraten.
    Nachmittags, nach einem letzten Training, sagte man mir, ich solle mich im Hauptgebäude der Sportschule einfinden. Diese Mitteilung
     beunruhigte mich nicht weiter, erst als ich den Raum im ersten Stock betrat, war ich überrascht über das Aufgebot: |105| Die Führungsspitze des Deutschen Fußball-Verbands (DFV) hatte sich geschlossen versammelt. Sofort ahnte ich, was das bedeutete:
     Ich sollte nicht mit in den Westen reisen. Aber warum?
    «Hallo, komm rein!» Vielleicht sagten sie auch «Genosse» zu mir, genau weiß ich es nicht mehr, da ich in diesem Moment die
     Mienen der an einem langen Tisch sitzenden Männer einzuschätzen versuchte. «Also, Jörg, du kannst nicht mit in den Westen
     reisen.»
    In meiner Erinnerung war es Werner Lempert, der dies ohne Umschweife sagte.
    Ein anderer Funktionär fuhr fort: «Dir ist sicher bewusst, dass das Spiel in Hagen eine besondere Situation ist.»
    Ich dachte an Pahl und Nachtweih. Als ihre Flucht bekannt wurde, warf man mir vor, ich hätte sie in Halle ideologisch nicht
     richtig erzogen. Ihr «Verrat» war eine große Provokation für den DD R-Staat . Ich sah den versammelten Funktionären an, dass sie argwöhnten, meine beiden Ex-Spieler könnten in Hagen den Kontakt zu mir
     suchen. Folglich wäre es aus ihrer Sicht nicht unwahrscheinlich, dass es auch einen Abwerbungsversuch geben würde. Dennoch
     spürte ich, dies war nur eine Erklärung für ihre Zusammenkunft, eine, die sie offiziell äußern konnten. Inoffiziell ging es
     um etwas ganz anderes. Doch noch immer war mir nicht klar, was das sein sollte. In jedem Fall war ich in ihren Augen zu einem
     Risikofaktor geworden. Es erschien mir zwecklos, zu versichern, dass ich mich gewiss nicht würde abwerben lassen. Die geballte
     Anwesenheit der Sportfunktionäre sprach Bände.
    Ich befand mich in einer Art Schockstarre, fühlte eine große Leere in mir. Das Reiseverbot war keine einmalige Angelegenheit,
     das wusste ich, ohne dass man es mir sagen musste. Man würde mich nicht nur morgen nicht mitnehmen, sondern bei jeglichen
     anstehenden Westreisen.
    Schließlich bekräftigte Werner Lempert: «Jörg, morgen kannst du deine Mannschaft nicht begleiten.» Danach fügte er hinzu: |106| «Wir bitten dich, deine Sachen zusammenzupacken und das Trainingslager zu verlassen.»
    Auch in diesem Moment brachte ich keinen Widerspruch heraus. Die Funktionäre hatten mir ganz offen gezeigt, dass sie mir misstrauten
     – und ich besaß ebenfalls kein Vertrauen mehr zu ihnen. Eine Spannung hatte sich in dem Raum aufgebaut, am Himmel meines bislang
     sehr sonnigen Lebens waren drohende Schatten aufgetaucht.
    Zum Abschluss des «Gesprächs» trug man mir noch auf, vor meiner Abreise zu den Spielern zu gehen und ihnen mitzuteilen, dass
     ich nicht mit in die BRD kommen würde. Sie legten mir auch nahe, welche Begründung ich angeben sollte. Und zwar diese und
     keine andere.
    Drei Funktionäre begleiteten mich die Treppe hinunter. Den Weg von der ersten Etage in den Clubraum, in dem sich die Mannschaft
     versammelt hatte, werde ich nie vergessen. Wenn ich bei der vorgegebenen Begründung blieb, sie tatsächlich äußerte – konnte
     ich mir danach noch ins Gesicht sehen? Ließ sich das mit meinem Gewissen vereinbaren? Man wollte mich zu einer Lüge zwingen
     – mehr konnte man mich nicht in meinem Stolz treffen. Doch die Wahrheit zu äußern, das brachte ich nicht fertig. Also verhielt
     ich mich getreu der vorgeschriebenen Linie und sagte zu meinen Spielern: «Ich wünsche euch viel Erfolg beim Länderspiel. Leider
     kann ich euch nicht begleiten, weil mein Vater plötzlich schwer erkrankt ist.»
    Es war passiert. Für den Staat hatte ich Achtzehnjährige, die unter meiner Obhut standen, belogen. Dies war das Schlimmste,
     was mir als Trainer bislang

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