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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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vorstellen, Genosse Berger?» Wieder vernahm ich die Stimme des Majors.
    «Nein», antwortete ich, ohne gelesen zu haben, was auf dem Blatt stand. Für mich war damit alles gesagt. Begründen wollte
     ich meine Entscheidung nicht. Ähnlich wie die beiden Stasi-Leute gab ich mich ungerührt, Professionalität konnte ich selbst
     in dieser Situation an den Tag legen. Ich wusste, dass meine Weigerung Folgen haben würde. Aber angesichts der Tatsache, dass
     ich meine Spieler hatte belügen müssen, dass man in meine Privatsphäre eingedrungen war, wog das nicht sonderlich schwer.
     In den letzten ein, zwei Stunden hatte der Staat mir sein wahres Gesicht gezeigt – ich war enttäuscht, und zugleich kochte
     ich innerlich vor Wut. Es war etwas anderes, von Ungerechtigkeiten zu hören, als sie selbst zu erleben.
    «Sie können sich Ihre Entscheidung noch einmal überlegen», sagte der Oberst. «Aber wenn Sie nicht von sich aus auf uns zukommen,
     wir werden Sie nicht mehr ansprechen.» In dieser Beziehung hielten sie tatsächlich Wort, eigentlich passte das gar nicht zu
     ihnen.
    Zum Schluss erhob noch einmal der Major seine Stimme: «Sie sind verpflichtet, niemandem von diesem Gespräch zu erzählen. Unterschreiben
     Sie das!»
    Ich nickte. Sehr lange Zeit hielt ich mich auch an diese Weisung.
    Als ich den Raum verließ und in mein Zimmer ging, um meine Sachen für die Abreise zusammenzupacken, befiel mich doch die Angst
     um meine Zukunft. Dennoch: Die Konsequenzen, die sich aus diesem Tag ergeben sollten, ich wollte sie tragen. Ich würde mein
     Leben nicht mehr so weiterleben können wie bisher.
    Niedergeschlagen kam ich zu Hause an. Ich musste unbedingt mit Harriet über die Sache reden, das Verbot der Staatssicherheit
     konnte mich nicht daran hindern. Sie versuchte mich zu beruhigen, sagte: «Warte doch erst einmal ab, wie es weitergeht.» |110| Ich dachte bei ihren Beschwichtigungsversuchen jedoch immer daran, dass sich in ihrem Kreis vermutlich jemand befand, der
     Kontakt zur Stasi hatte.
    Anschließend klingelte ich bei meinem Nachbarn Rudolf Röhrer, dem Chefredakteur der
Leipziger Volkszeitung
. Schon oft hatten wir zusammengesessen, aber nie über Politik gesprochen, stets ging es in unseren Gesprächen um Sport. Er
     war ein überzeugter Genosse, dennoch wollte ich jetzt seine Meinung dazu hören, wie mein Westreise-Verbot zu bewerten sei.
     Glücklicherweise war er zu Hause, sonst wäre ich wohl in eine Bar gegangen und hätte mich volllaufen lassen.
    Röhrer schaute mich aufmerksam an, während ich ihm erzählte, was ich in den vergangenen Stunden erlebt hatte. Die Begegnung
     mit den beiden Stasi-Leuten ließ ich außen vor, ich wollte ihn nicht in eine unangenehme Situation bringen. Vielleicht hätte
     er in diesem Fall alles melden müssen. Als ich meinen Bericht beendet hatte, reagierte er ähnlich wie Harriet: «Wenn du weiter
     deine Arbeit gut machst, wird sich alles wieder einrenken.»

|111| 8
Weggeschlossen
    |112| In den folgenden Tagen fehlte mir jede Motivation, für mein Leben, für den Sport, dafür, die Republik zu vertreten. Wie es
     mit mir weitergehen sollte, das konnte ich nicht beeinflussen. Mein Schicksal lag in den Händen anderer, der Staatssicherheit,
     der Partei oder des Fußball-Verbands. Für mich war das kaum auszuhalten.
    Schließlich teilte man mir mit: «Du kannst weiter die Jugendauswahl trainieren. Doch bis sich deine privaten Verhältnisse
     geklärt haben, wirst du nicht in den Westen reisen können.»
    Erleichterung machte sich in mir breit. Hieß das doch, ich wurde nicht degradiert, musste beispielsweise nicht irgendwo an
     einer Schule als Sportlehrer arbeiten. Zugleich konnte ich die Absurdität des Ganzen immer noch schwer ertragen. Es drehte
     sich bei dieser Angelegenheit einzig und allein um mein Privatleben, um nichts anderes. Ich wollte mich scheiden lassen, etwas,
     was zu dieser Zeit fast jeder Dritte in der DDR beantragte. Im europäischen Vergleich hatte dieser sozialistische Staat damals
     sogar die zweithöchste Scheidungsrate. Das zeigte, wie lächerlich der Anlass war, um mit Repressalien zu reagieren. Völlig
     gleichgültig war dabei, dass ich als Trainer gute Arbeit leistete und den «Plan erfüllte».
    Als Co-Trainer stellte man mir wieder Werner Basel zur Seite, den alle nur Eddie nannten. Mit Eddie hatte ich viele Länderspiele
     bestritten. Soweit ich mich erinnere, hat er mich auch schon in Hagen als Trainer vertreten.
    Eddie war mit Doris

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