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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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Jugoslawien reisen durfte.

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Abschied auf dem Dachboden
    |138| Es war Samstag, der 24.   März 1979, womöglich mein letzter Tag in Leipzig. Am Sonntag sollte ich mittags in der Sportschule Weißensee bei Berlin erscheinen,
     um nachmittags mit den Spielern ein leichtes Training zu absolvieren, danach war eine Besprechung anberaumt. Es war klar,
     worum es gehen würde. Nach Eigendorfs Flucht am 22.   März konnte nur eine Parole ausgegeben werden, so gut kannte ich noch die Verhaltensmuster der Funktionäre, auch wenn ich
     seit fast drei Jahren nicht mehr im West-Reisekader war: «Wir sind ein starkes Kollektiv, wir werden fahren und lassen uns
     nicht von den Bonner Ultras aufhalten, auch wenn sie vor vier Tagen einen unserer Spieler abgeworben haben.» Und dementsprechend
     kam es dann auch.
    Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, neben mir zu stehen. Auf einmal war meine Chance gekommen, in den Westen zu fliehen.
     Ich wusste, dass ich es auch wirklich tun wollte, ich nicht weiter in dem System zu leben bereit war, das mich zum Lügen zwang
     – doch ansonsten brachte ich nichts Konkretes in meinem Kopf zustande. Wenn ich versuchte, mir zu überlegen, wie ich von Jugoslawien
     aus in die Bundesrepublik gelangen sollte, waren meine Gedanken wie blockiert. Schließlich sagte ich mir, es hätte keinen
     Zweck, Genaueres zu planen, es würde sich schon ergeben. Naiver konnte man keine Flucht angehen.
    Ich war zu nichts anderem in der Lage, als an den jeweils nächsten Schritt zu denken, und der erste betraf hauptsächlich meine
     Eltern und meinen Sohn. So nahm ich mir vor, mich möglichst unauffällig von den Menschen zu verabschieden, die mir wichtig
     waren. Groß angekündigte Besuche vor meinem Abflug nach Belgrad wären zu auffällig gewesen, alles musste selbstverständlich
     erscheinen. Immerhin konnte es sein, dass man mich den ganzen Tag im Visier hatte.
    Gleich nach dem Frühstück machte ich mich auf, um zu meinen Eltern zu fahren. Sonnabends, wenn ich nicht zu einem Spiel unterwegs
     war, tauchte ich öfter um diese Zeit bei ihnen |139| auf – ich tat also etwas, was man unter «normales Verhalten» verbuchen konnte. Als ich mit meinem Trabi Richtung Eutritzscher
     Park einbog, musste ich tief durchatmen. Meine Eltern wussten nicht, dass es vielleicht unsere letzte Begegnung für Jahre
     sein würde.
    Ich klingelte. Meine Mutter machte mir die Tür auf und führte mich ins Wohnzimmer, wo mein Vater in seinem Sessel saß und
     aufmerksam die
Leipziger Volkszeitung
las. Nachdem ich auf dem Sofa Platz genommen hatte, versuchte ich meine Anspannung zu unterdrücken, sagte möglichst beiläufig:
     «Ihr wisst ja, übermorgen fahre ich nach Jugoslawien.»
    «Das ist toll, dass du diese Gelegenheit bekommen hast», sagte mein Vater, während er die Zeitung beiseitelegte. «Hoffentlich
     wird deine Mannschaft gewinnen.»
    «Bestimmt, der Jörg schafft das.» Meine Mutter brachte gerade den Kaffee herein.
    «Wir haben ein leidiges Problem mit dem Telefon», wechselte mein Vater das Thema. «Dieses Mal funktionierte es ein paar Tage
     überhaupt nicht. Es kam sogar jemand, der sich die Leitungen genau anschauen musste. Immerhin konnte der Fehler repariert
     werden.»
    Bei dem Wort «Telefon» wurde ich sofort hellhörig. Vielleicht hatte man eine Störung fingiert, um auf diese Weise eine Wanze
     einbauen und die Wohnung abhören zu können. Ohne aber weiter auf die Äußerung meines Vaters einzugehen, das war mir in diesem
     Moment dann doch nicht so wichtig, sagte ich zu meiner Mutter: «Auf dem Dachboden liegen noch Bücher von mir, ich würde gern
     ein paar davon mitnehmen.»
    «Jetzt? Du hast doch sowieso nie Zeit zum Lesen?»
    «Ich möchte mir aber unbedingt das eine oder andere ausleihen.»
    «Du wirst die Bücher unter all den anderen Sachen bestimmt nicht finden.»
    |140| «Lass uns bitte nach oben gehen.»
    Endlich hatte meine Mutter begriffen, dass ich ihr etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Zu meinem Vater sagte sie: «Lies weiter
     deine Zeitung, ich geh mal kurz mit dem Jörg auf den Boden.» Er nickte.
    Oben angelangt, flüsterte ich nur: «Es kann sein, dass ich nicht zurückkomme.» Mehr musste ich ihr nicht erklären – sie wusste,
     wie sehr ich in den vergangenen Jahren innerlich gelitten hatte. Tränen liefen ihr übers Gesicht, während sie sich auf einen
     verstaubten Koffer setzte. «Ich habe es geahnt.» Schließlich erhob sie sich und umarmte mich. «Überlege dir nochmal

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