Meine zwei Halbzeiten
zurückhaltend, was meine Kontaktaufnahme in die DDR betraf, vermied Telefonate nach Leipzig, allein
deshalb, um niemandem von meiner Familie oder meinen Freunden zu schaden.
Stattdessen erhielt ich eines Tages einen Anruf von Doris Basel, der Ehefrau meines früheren Co-Trainers Eddie. Die Stasi
hatte trotz aller Vorsichtsmaßnahmen erneut sehr schnell meine damalige Anschrift in Erfahrung gebracht – oder woher sollte
Frau Basel sonst meine Darmstädter Telefonnummer haben? Sie sei gerade in Frankfurt, sagte sie, da könne man sich doch mal
treffen. Ich antwortete freundlich, aber bestimmt, dass ich keine Zeit und auch kein Interesse an einem Treffen hätte. So
leicht gab sie jedoch nicht auf, versuchte es später noch mehrmals. Stets blockte ich ab. Sie war die rechte Hand von Franz
Rydz, da bekleidete |188| sie eine zu hohe Position, um mich einfach nur aus freundschaftlichen Gründen treffen zu wollen.
Als ich die Arbeit bei den «Lilien» aufnahm, bestätigte sich das, was ich während meines Praktikums bei der Eintracht schon
beobachtet hatte: Man arbeitete in der Bundesliga tatsächlich anders als in der DD R-Oberliga , es fehlten meiner Meinung nach grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse. Die – sicher auch übertriebene – Statistik,
die wir im Osten eingeführt hatten, dieses Kontrollsystem mit den Laktatmessungen und einer detaillierten Trainingsplanung
mit Belastungs- und Ruhephasen für einen Tag, eine Woche, sogar ein ganzes Jahr, das war im Westen völlig unbekannt. Ich musste
aufpassen, diese Dinge nicht zu sehr hervorzuheben. Das konnte den Eindruck erwecken, ich würde mich zu wichtig nehmen. Immerhin
beobachtete man mich kritisch. Als ich einmal eine Trainingsdokumentation herumzeigte, war das ein Fehler. Man gab mir eindeutig
zu verstehen, dass ich damit zu einer Forschungsstelle gehen könne, hier im Westen würde man keine Planwirtschaft betreiben.
Die Mannschaft fasste ich hart an, sicher zu hart. Ich hielt an meinen Vorgaben fest, ließ am Anfang auch wenig mit mir diskutieren,
weil ich überzeugt war, dass das, was ich tat, nur richtig sein konnte. Dabei ging ich von dem aus, was ich im Osten gefordert
hatte – und war ein wenig enttäuscht über die fußballerische Grundausbildung mancher BR D-Profis . Ich hatte bei den «Lilien» Spieler, die den Ball höchstens zwanzigmal hochhalten konnten. Für junge DD R-Spieler war es geradezu Pflicht, ihn hundertmal mit dem rechten wie auch mit dem linken Fuß jonglieren zu können.
Dass westliche Mannschaften dennoch fast immer die Nase vorn hatten, lag meiner Meinung nach an dem völlig anderen Persönlichkeitsmuster
westlicher Spieler. In der DDR war die Mentalität stark von autoritärer Gängelung geprägt, in der Bundesrepublik |189| spürte ich bei den Spielern viel Selbstvertrauen. Sie gingen an wichtige Spiele ganz anders heran, überhaupt nicht verkrampft.
Zu ihnen kam aber auch kein Politfunktionär, der mit Siegesparolen Druck ausübte.
Die Darmstädter merkten natürlich, dass ich viel zu viel von ihnen erwartete. Es gab einige, die das hinter meinem Rücken
deutlich aussprachen. «Wir trainieren ja wie im Osten», hieß es. Zudem waren sie einen bestimmten Umgangston gewohnt, den
ich als kumpelhaft bezeichnen würde und den ich nur schwer übernehmen konnte. Auch mein Trainerkollege gab mir sein Befremden
zu verstehen: «Was willst du eigentlich hier, du bist doch Kommunist?» Darauf konnte ich nur mit einer Gegenfrage antworten:
«Wäre ich dann geflüchtet?»
Zu all den Schwierigkeiten kam noch eine Intertotorunde am 19. Juli 1979, in der die «Lilien» gegen den FC Baník Ostrava, einen der populärsten tschechischen Fußballclubs, spielen sollten,
und zwar in Ostrava. Knapp vier Monate nach meiner Flucht war klar, dass ich die Mannschaft nicht begleiten konnte. Die Stasi
hätte in der Tschechoslowakei auf mich gewartet, das blieb nicht nur eine Vermutung: Der ehemalige DD R-Fußballer und Sportjournalist Klaus Thiemann war als IM «Matthias» speziell auf Lutz Eigendorf und mich angesetzt (bei mir schon zu
Zeiten, als ich noch in der DDR war). An die Öffentlichkeit gebracht hat dies Ellen Thiemann, die mit ihm verheiratet war.
In ihrem Buch
Der Feind an meiner Seite
schreibt sie unter Verwendung ihrer eigenen Stasiakten: «Das Fußballspiel … in Ostrava sollte der IMV [gemeint ist ‹Matthias›] zum Anlass nehmen, um durch Gespräche mit Funktionären des
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