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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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mitgenommen. Hinterher fuhr er mich zu meiner Unterkunft
     bei Norbert. Wir blieben noch eine ganze Weile im Auto sitzen und redeten. Es war ein Uhr nachts, vielleicht halb zwei, als
     ich die Straße überquerte, um zum Hauseingang zu gehen.
    Während ich aus meiner Hosentasche den Haustürschlüssel hervorkramte, traten aus der Dunkelheit plötzlich zwei Männer auf
     mich zu. Erschrocken fuhr ich zusammen. Mein erster Gedanke war, dass sie mich überfallen und ausrauben wollten. Weit und
     breit war kein Mensch zu sehen, Jo längst davongefahren. Einer der beiden Männer sprach mich jedoch, ohne sich vorzustellen,
     in einem äußerst freundlichen Ton an: «Wir haben Kontakte in die DDR. Wir sind beauftragt, Ihnen zu sagen, dass Ihre Mutter
     sich mit Ihnen treffen will.»
    «Das kann ich mir nicht vorstellen», erwiderte ich kurz angebunden. |180| «Ich kenne meine Mutter, und sie kennt mich.» Immer hatte ich gedacht, dass mich einmal jemand im Auftrag der Stasi anrufen
     würde, um mich – ja, was eigentlich? – einzuschüchtern. Nie hatte ich jedoch damit gerechnet, dass man mich spätnachts auf
     offener Straße ansprechen würde. Aber war ich nicht vom BND entsprechend gewarnt worden? «Und überhaupt, was wollen Sie eigentlich
     von mir?», fügte ich hinzu.
    «Es geht darum, dass Ihre Mutter Sie sehen und sprechen möchte.»
    «Und wo soll das stattfinden?»
    «In Schweden.»
    Wieso Schweden, warum nicht in der Bundesrepublik?, ging es mir durch den Kopf. Heute weiß ich, dass man auf keinen Fall eine
     Begegnung in der BRD arrangiert hätte. Schweden war ein neutrales Land, von da aus wäre es ein Leichtes gewesen, mich in den
     Arbeiter-und-Bauern-Staat zurückzubringen. Nur darum konnte es doch gehen. Laut sagte ich: «Ein solches Gespräch mit meiner
     Mutter kann ich mir aber grundsätzlich nicht vorstellen.»
    «Sie sollten Ihre Entscheidung noch einmal überdenken.»
    «Und was passiert, wenn ich dieses Treffen nicht wahrnehme?» Langsam kam ich zu dem Punkt, um den es den beiden Männern wirklich
     gehen musste.
    «Das können wir Ihnen nicht genau sagen. Aber dieser Fall wird Konsequenzen für Ihre Eltern und Ihren Sohn haben.» Jetzt hatten
     sie es ausgesprochen, das war eindeutig eine Drohung.
    «Dennoch, ich bleibe bei meinem Nein.»
    Wortlos verschwanden die zwei Männer wieder in der Dunkelheit, aus der sie gekommen waren. Ich lauschte ihnen noch nach, hörte
     aber nicht, dass sie in ein Auto stiegen und einen Motor starteten.
    Ein zweites Mal wurde ich von Mittelsmännern in dieser Form nicht angesprochen. Hatte ich sie überzeugt, dass ich nicht an
     einer solchen Begegnung interessiert war? Mich zu einer Rückkehr |181| in die DDR zu bewegen, wäre ein Propagandacoup für die Partei gewesen, solange der Anschein der Freiwilligkeit gewahrt blieb:
     Seht her, der Berger fand sich im Westen nicht zurecht und wollte zurück in seine Heimat. So weit dachte ich in diesem Moment
     aber nicht, sondern fragte mich sorgenvoll, ob sie mich in Zukunft in Ruhe lassen würden. Sie änderten allerdings lediglich
     ihre Strategie.
    Als ich nach Jahren meiner Mutter von dieser Kontaktaufnahme erzählte, sagte sie, dass sie tatsächlich wegen eines Treffens
     angesprochen worden war. Sie hatte jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass sie sich sicher sei, ihr Sohn würde nicht auf
     dieses Angebot eingehen. Seine Flucht wäre bestimmt keine spontane Aktion gewesen, die er plötzlich wieder rückgängig machen
     würde. Das stimmte mich nachdenklich. Warum wollte man mich nach Schweden locken, obwohl meine Mutter dort gar nicht hinkommen
     wollte? War etwa eine gewaltsame Entführung geplant?
    Am nächsten Morgen erzählte ich Norbert von meiner nächtlichen Begegnung. Er legte mir nahe, besser den Hund mitzunehmen,
     wenn ich alleine spazierenging. Er und Patricia besaßen einen großen Schäferhund.
    Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ich für den Staat drüben eine Gefahr war. Und zwar insofern, als ich im Westen
     Karriere machen und in die Öffentlichkeit kommen konnte. Hätte ich mich damit begnügt, irgendwo in einer Stadt wie Passau
     oder Flensburg als Sportlehrer zu arbeiten, wäre ich mit Sicherheit in Ruhe gelassen worden, und nach einer gewissen Zeit
     hätte man die Fluchtakte geschlossen. Es ging darum, zu verhindern, dass ich als womöglich erfolgreicher Ex-Bürger der DDR
     im Blickpunkt der Medien stand.

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Wir sind beim Sport und nicht im Puff
    |183| «Beim SV Darmstadt

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