Meine zwei Halbzeiten
Karriere
des Jörg Berger zu gefährden, indem wir ihn zu sehr in Darmstadt beanspruchen und er in Köln seinen Fußballlehrer nicht richtig
machen kann.» Dass der Zweijahresvertrag nach einem halben Jahr beendet wurde, stimmte mich traurig, aber zugleich war ich
auch erleichtert. Zu schnell war zu viel auf mich niedergeprasselt.
Im März – ein Jahr nach meiner Flucht – legte ich zusammen mit Horst Köppel, Christoph Daum und Klaus Schlappner meine Prüfung
als «Staatlich geprüfter Sportlehrer für Fußball» ab, Gesamtbewertung «gut». Immerhin gehörte ich zu den drei besten Studenten
des Lehrgangs. Da ich keinen Verein mehr trainierte, hatte ich hochkonzentriert am Unterricht teilgenommen, wollte mich unbedingt
beweisen. Ironie der Geschichte: An der DSHS wurde mit DD R-Lehrbüchern unterrichtet.
Kurz vor der Prüfung fragte der SSV Ulm 1846 bei der Sporthochschule an, ob man ihnen nicht einen fähigen Trainer nennen könne.
Drei Leute wurden vorgeschlagen, am Ende entschied man sich für mich. Die damaligen Ulmer Spieler werden mich bestimmt in
Erinnerung behalten, zumindest wegen einer Sache. Als ich das erste Mal mit dem Zeugwart die Kabine betrat – die Spieler waren
noch nicht zum Training eingetroffen –, entdeckte ich an einer Wand Poster mit nackten Frauen.
«Was ist das?», fragte ich.
«Na ja …», meinte der Zeugwart.
«Alle Bilder runter. Wir sind hier beim Sport und nicht im Puff.» Ich wollte bei meiner zweiten Trainerstation gleich Zeichen
setzen.
«Das kann ich nicht einfach tun …»
«Dann sagen Sie, dass ich das gemacht habe.»
|193| Als die Spieler in die Kabine kamen, sagte einer von ihnen: «Hey, was ist da passiert? Irgendwie sieht es hier ganz anders
aus.» Bevor große Aufregung einsetzen konnte, verkündete ich meine Erwartungen an die gemeinsame Arbeit. Zum Schluss sagte
ich: «Und jetzt beginnt das Training.»
Ulm 1846 war in der damals zweitgeteilten Zweiten Bundesliga auf dem 19. Tabellenplatz, also kurz davor abzusteigen. Es standen nicht mehr viele Spieltage auf dem Plan, um aus dieser Misere herauszukommen.
Doch so leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben. Die Truppe besaß Charakter, darauf ließ sich aufbauen. Ich redete sie
stark, machte sie stark – und die Mannschaft musste nicht in die Amateurliga. Dies war die erste Erfahrung in einer Reihe
von vergleichbaren Situationen, die dazu führten, dass ich später von den Medien als «Retter», «Feuerwehrmann» oder Sanierer
von abstiegsbedrohten Vereinen bezeichnet wurde. Und nach meiner schwierigen Zeit in Darmstadt tat es gut, endlich einen Erfolg
vorweisen zu können. Hätte ich eine zweite Niederlage erlitten, ich wäre sicher als einer angesehen worden, der in den Westen
kam und dort schnell scheiterte. Einigen drüben hätte ich damit einen großen Gefallen getan.
Im Mai 1980 tauchte eines Tages überraschend Doris Basel vor dem Ulmer Stadion auf. Sie wäre zufällig in der Nähe gewesen,
sagte sie, und wollte mich einfach mal sehen. Diesen Satz kannte ich schon von ihr. Natürlich hatte sie mich voller Absicht
aufgesucht, auch wenn sie weiter erklärte, dass sie gerade eine adidas-Zweigstelle in Ulm besucht hätte. Mit Sicherheit war
sie von der Staatssicherheit geschickt worden.
«Ich muss trainieren», sagte ich kurz angebunden.
«Dann warte ich eben, bis das Training beendet ist, in der Stadiongaststätte.» Diese hatte sie also auch schon ausgekundschaftet.
Mir fiel kein Argument ein, wie ich mich jetzt noch aus der Affäre ziehen konnte, also nickte ich, sagte aber, dass meine
Zeit |194| begrenzt sei, ich hätte noch eine Verbandssitzung, die bis Mitternacht dauern würde. Während des Trainings überlegte ich genau,
was ich sagen und damit an die Stasi weitergeben wollte.
Als ich mich gegen 16 Uhr zu Frau Basel setzte, versuchte ich zu verhindern, dass sie das Gespräch in die Hand nahm. In meinen Stasiakten liest
sich das so:
Berger wurde in der Gaststätte als bekannter Gast begrüßt. Die KP [Kontaktperson, Anm. des Autors] und Berger saßen alleine
an einem Tisch. Während des gesamten Gesprächs (bis ca. 16.45) war Berger sehr nervös und machte einen unruhigen Eindruck … Ohne Einflussnahme der KP in Form einer Fragestellung sprach Berger im Verlaufe des Gesprächs wiederholt das Problem seiner
RF [Republikflucht, Anm. des Autors] an. Auch gegen den Hinweis der KP, dass sie diese Frage eigentlich gar nicht
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