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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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Vorstanden
     vom VfL Darmstadt Hinweise zu dem Verräter Berger zu erarbeiten. Dazu hatte der IMV Kontakt zu seinem guten Bekannten [der
     Name ist geschwärzt] von
Sport
Bratislava aufgenommen. Dieser teilte dem IMV mit, dass er persönlich zur Berichterstattung nach Ostrava fährt und für den
     IMV die notwendigen organisatorischen Fragen regelt. Er |190| informierte den IMV, dass der Trainer des VfL Darmstadt Berger nach der vorliegenden Meldeliste aus der BRD nicht in die ČSSR
     einreisen wird. Ihm war bekannt, dass es sich um einen Verräter der DDR handelt. Aufgrund personeller Unterbesetzung ist es
     dem IM nicht möglich, den operativen Einsatz in Ostrava durchzuführen.» 1
    «Operativer Einsatz» hätte tatsächlich bedeutet, mich in die DDR zurückzubringen.
    Ich ging also zu Georg Schäfer und erzählte ihm von meinen möglichen Schwierigkeiten. Nachdem er sich meine Befürchtungen
     angehört hatte, bestimmte der Präsident des SV Darmstadt 98: «Dann fährt eben der Klaus.»
    Kaum eine Stunde später stürmte mein Co-Trainer in die Kabine und babbelte aufgeregt in seinem Mannheimer Dialekt, dass er
     nicht in die Tschechoslowakei fahren werde. Im ersten Moment verstand ich nicht, was seine Bedenken waren, bis ich begriff:
     Er ging davon aus, dass man ihn bei diesem Spiel verhaften und einsperren würde. So hätte man eine Geisel, um mich dazu zu
     bewegen, in die DDR zurückzukehren. Aber er wüsste genau, ich würde diesem Deal niemals zustimmen, und dann müsse er bei den
     Kommunisten bleiben. Diesen Wahn konnte ich ihm nicht nehmen. Er glaubte zudem, mir sei vollkommen klar, was passieren würde,
     und ich wolle ihn bewusst in den Osten schicken, um ihn loszuwerden. Wohl war unser Verhältnis nicht das beste, doch auf solche
     Gedanken musste man erst einmal kommen. Wer letztlich nach Ostrava gefahren ist, ich weiß es nicht mehr.
    Klaus Thiemann wollte übrigens noch 1997 einen Kontakt zu mir herstellen, als ich beim Schweizer Verein FC Basel Trainer war.
     Lange nach dem Ende der DDR hätte Thiemann eigentlich ein so schlechtes Gewissen haben sollen, um mir für immer aus |191| dem Weg zu gehen. Doch offenbar war er wie viele ehemalige IMs der Meinung, dass nichts geschehen sei und er durch seine Tätigkeit
     niemandem geschadet habe.
    Im September 1979 nahm ich meine Ausbildung in Köln auf, zusammen mit Klaus Schlappner. Auf einmal hatte ich drei Berufe:
     Trainer, Student sowie Fernfahrer. Jeden Morgen stand ich um vier Uhr auf, um zweihundertfünfzig Kilometer von Darmstadt nach
     Köln-Müngersdorf zu fahren, wo die Deutsche Sporthochschule (DSHS) liegt. Die erste Vorlesung begann um acht, die wollte ich
     keinesfalls versäumen, und je nach Verkehrslage brauchte ich für die Strecke in meinem geleasten Golf zwei, drei Stunden.
     Am frühen Nachmittag ging es wieder die zweihundertfünfzig Kilometer zurück, um anschließend im Darmstädter Stadion am Böllenfalltor
     das Training abzuhalten, das um 16   Uhr anfing. Meist kam ich, der Pendler, in letzter Minute im Stadion an – nie erholt, nie vorbereitet. Manchmal, wenn der
     Unterricht an der DSHS bis in den Abend dauerte, musste ich das ein oder andere schwänzen. In diesen Fällen schrieb Jupp Kurth
     für mich mit, bei dem ich auch häufig übernachtete und der ein guter Freund wurde. Die Fehltage auf meiner Anwesenheitsliste
     summierten sich dadurch rasant. Und weil ich auch keinen Co-Trainer hatte, der mich vertreten konnte – Klaus Schlappner studierte
     ja selbst, hielt sich aber in der Woche immer in Köln auf und übernahm nie das Training   –, blieb vieles auf der Strecke. Einige Spieler haben das verstanden, andere ausgenutzt.
    Meine erste Station als Trainer im Westen musste scheitern. Ich habe mich selbst gewundert, dass es angesichts meiner Dreifachbelastung
     überhaupt so lange gut ging. Die Presse brachte es auf den Punkt: «Selbstmord auf Raten.» Da ich aber derart unter Druck mit
     meinem Fußballlehrer-Schein stand, konnte ich nicht weiter darüber nachdenken. Dieser Nachweis war wichtiger als alles andere,
     davon hing meine Zukunft im Profifußball ab.
    Im Januar 1980, zu Beginn der Rückrunde, wurde ich aufgrund |192| der gehäuften Probleme bei den «Lilien» entlassen. Es war direkt nach einem Pokalspiel gegen einen anderen Zweitligisten,
     Fortuna Köln, das wir sensationell mit 7   :   2 zu Hause gewannen. Die Entlassung erfolgte in beiderseitigem Einverständnis: «Wir können uns nicht erlauben, die

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