Meineid
ihrem Ausschnitt verschwunden. Hella bemerkte, dass ich es noch sah, und klopfte ihm lachend auf die Finger. Wir blieben zu viert zurück, saßen noch bis fünf in der Küche, klaubten die Reste vom Büfett und unterhielten uns. Es ging vom Krabbensalat über Luis’ penible Sorgfalt bei der Vorbereitung einer Anklage zu Hella Abelers aufwendigem Perlencollier, ein Geschenk von Luis. Greta fand, dass Hella derartigen Schmuck tragen konnte bei ihrem Dekolleté. Sie selbst hätte es nicht gewagt, sich drei Reihen Perlen um den Hals zu hängen.
«Damit sähe ich aus wie an den Pranger gestellt.»
Sie ließ mir keine Chance, die Sprache auf Jans Roman zu bringen. Das tat er schließlich selbst. Ohne Zweifel genoss er meine perfide Vorgehensweise und beherrschte sie so gut wie ich. Tess schwieg und hörte scheinbar aufmerksam zu. Doch ihr verträumter Gesichtsausdruck zeigte, dass sie nicht bei der Sache war. Hin und wieder streifte sie mich mit einem Blick, bei dem mir alles andere als wohl in meiner Haut war. Mir ging die Bemerkung nicht aus dem Kopf, die Luis gemacht hatte. Natürlich war der Mafioso purer Spott und Tess als einen Karren zu bezeichnen ziemlich abfällig gewesen. Aber in Familie machen! Das klang so nach Hochzeit. Luis hatte sich, während ich in der Küche war, alleine mit Tess unterhalten, soweit man bei einer wachsamen Ehefrau von alleine reden konnte. Tess musste in dieser Zeit etwas gesagt haben, was ihn zu dem kameradschaftlichen Schulterklopfen und seiner Warnung veranlasst hatte. Jan erzählte in knappen Sätzen die neunzigste Fassung seiner Einstiegsszene und fügte an:
«Greta meint, es wäre wieder zu brutal. Ich fürchte, wenn ich bei der Neunzehnjährigen als Opfer bleibe, wird das nie etwas.»
Greta versuchte, mir mit Blicken den Mund zu verschweißen. Aber wenn er es doch so wollte. Ich war nicht bereit, kampflos aufzugeben.
«Einsicht ist der erste Weg zur Besserung», sagte ich.
«Und die arme Neunzehnjährige hat sich wahrhaftig eine Erholungspause verdient. Warum nehmen Sie nicht zur Abwechslung eine Vierunddreißigjährige? Eine selbstbewusste, energische Person, die Beschützerinstinkte für den Mörder entwickelt, ihn für liebenswert und sensibel hält und nicht begreift, warum sie es nicht schafft, ihn in ihr Bett zu ziehen.»
Wie Greta auf meinen Vorschlag reagierte, sah ich nicht. Ich ließ Jan nicht aus den Augen. Sein Grinsen erlosch – für den Bruchteil einer Sekunde. Und für diesen Bruchteil war da etwas in seinem Blick. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Kälte ist nicht der passende Ausdruck. Lauernd trifft es auch nicht. Es war eine ganz besondere Art von Überheblichkeit.
«Das wäre eine Überlegung wert, meinte er.
«Aber es müsste da eine besondere Beziehung geben, wenn die Vierunddreißigjährige nicht der Typ ist, der den Mörder normalerweise anspricht.»
«Eine besondere Beziehung gab es bei der Neunzehnjährigen bisher auch nicht», sagte ich.
«Aber da hätte ich einen Vorschlag. Die Vierunddreißigjährige hat seit langer Zeit ein Verhältnis mit einem Anwalt.»
«Das reicht, Niklas», sagte Greta. Jan dagegen schien sehr interessiert.
«Lass doch, bat er.
«Das klingt gut.»
Er fixierte mich mit dem für ihn typischen, verlegen wirkenden Grinsen.
«Und der Anwalt vertritt den Mörder.»
«Nein», sagte ich.
«Das wird er auf gar keinen Fall tun. Stellen Sie sich einen Typ vor wie Turows Sandy Stern, cool, brillant, gut aussehend und sehr beherrscht wirkend. Ein Mann, dem niemand heftige Gefühlsausbrüche zutraut.»
Jan behielt sein Grinsen bei, während ich den Faden weiterspann.
«Der Anwalt nimmt es natürlich nicht tatenlos hin, dass seine Geliebte sich völlig von ihm abwendet. Er ist durchaus zu leidenschaftlichen Reaktionen fähig.»
«Aber in welcher Beziehung steht der Anwalt zum Mörder?, erkundigte sich Jan.
«Es muss da eine Verbindung geben.»
«Der Anwalt vertritt den unschuldig Verurteilten», sagte ich.
«Er ist überzeugt, dass sein Mandant die arme Neunzehnjährige nicht getötet haben kann. Und er lässt nicht locker, kommt dem wahren Mörder auf die Spur. Für den geht es plötzlich um Kopf und Kragen. Deshalb macht er sich an die Geliebte des Anwalts heran.»
«Das reicht jetzt wirklich, Niklas!»
Nun klang Greta sehr wütend. Der sensible Künstler beachtete ihren Einwand nicht und hielt sich an mich.
«Das ist unlogisch. Wenn die Gefahr von dem Anwalt ausgeht …»
«Der Mörder will die
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