Meineid
Mutter zu gestehen, sodass der Vater endlich rehabilitiert wird. Aber dieser Bogen und der brutale Mord an der jungen Frau konnten nur der Stoff für einen Spannungsroman sein. Die Wirklichkeit müsse anders ausgesehen haben, meinte Greta und zählte ein paar Argumente auf. Jan hatte das letzte Heim verlassen, als er neunzehn war. Als er die Wohnung neben ihrer bezog, war er vierunddreißig gewesen. Und ein freier Mann! Er wurde nicht von der Polizei verfolgt oder überwacht, es saßen nur ein paar Produzenten und Fernsehredakteure in seinem Nacken. Mit vierunddreißig war Jan als Drehbuchautor gut im Geschäft, folglich musste er schon lange vorher mit Schreiben begonnen haben.
«Und ehe er begann?, fragte ich. Sie hatte keine Ahnung, womit er vorher sein Geld verdient hatte. Gelegenheitsjobs vermutlich, es gab viele Möglichkeiten. Die Romanfigur Axel Berle schloss sich nach der Entlassung aus dem Heim einer mysteriösen Organisation an. Eine große Familie, hatte Jan geschrieben, die Axel liebevoll aufnahm, ihm alles bot, was ein Mensch brauchte; eine warme Stube und eine Kanone, gute Mahlzeiten und gute Kameraden wie Freund Barringer, der Axel Berle beibrachte, wie man überlebte, indem man tötete. Greta war oft über diese Stelle gestolpert. Es klang für sie, als sei mit der Organisation die Mafia gemeint. So sollte es wohl auch klingen. Der Himmel allein mochte wissen, wo Jan das Vorbild für seinen Barringer getroffen hatte. Auf einem Baugerüst, an einem Fließband oder bei der Müllabfuhr. Ich ließ sie reden, obwohl sie nicht weiterwusste. Waisenhäuser warfen ihre Schützlinge nicht mit Erreichen der Volljährigkeit auf die Straße. Sie gaben ihnen das Rüstzeug für ein selbständiges Leben mit auf den Weg. Eine Ausbildung in einem soliden Beruf, meist ein Handwerk. Jan hatte sogar Abitur machen dürfen. Das wusste sie. Er hätte die Chance auf ein Studium gehabt, war mittellos gewesen, hätte Bafög bekommen, hatte es jedoch nicht in Anspruch genommen. Und sie wusste nicht, warum.
«Mit der Verbrecherorganisation meint er die Bundeswehr», sagte ich.
«Die müssen ja einen netten Eindruck bei ihm hinterlassen haben. Aber wie auch immer. Da bekommt man Streifen und Sterne. Da wird man nicht verlängert, so hat er das doch eben ausgedrückt.»
Ich bot ihr eine Wette an, um unser Gespräch nicht erneut in Zorn und Protest abdriften zu lassen. Ich dafür und sie dagegen, dass Jan Zeitsoldat gewesen war und seinen Freund Barringer bei der Bundeswehr kennen gelernt hatte. Dass er sich nach Verlassen des letzten Heimes für einige Jahre verpflichtet und nach Ablauf dieser Zeit einen Antrag auf Verlängerung gestellt hatte. Und irgendetwas musste schief gelaufen sein. Barringer wurde geschasst, den hatten sie also einfach hinauswerfen können. Und Jans Antrag wurde abgelehnt.
«Wer ist Barby?, fragte ich.
«Und was ist mit ihr passiert?»
Greta hatte keine Ahnung. Der Name war bisher nicht aufgetaucht, weder in den Textstücken, die sie gelesen hatte, noch in einer Unterhaltung. Barby, sie dachte dabei an eine Puppe. Mandy besaß zwei von der Sorte. Aber Jan hatte in der Tiefgarage und im Aufzug zweifellos von einem Mädchen gesprochen. Von einem toten Mädchen.
«Das war ein Unfall. Wir waren doch besoffen.»
Das hatte Greta ebenso gehört wie ich.
«Na schön», sagte ich.
«Vielleicht war es ein Unfall, den er für seinen Roman umgestaltet hat. Fragen wir uns lieber, wer das hier ist.»
Die vier Seiten hatte ich auf den Tisch gelegt. Nun griff ich wieder danach, wedelte ihr damit vor dem Gesicht.
«Tess ist es nicht. Er hat sich vielleicht gewünscht, er könne es mit ihr so machen. Aber sich das eigene Haus anzünden, dazu ist er zu geizig. In der Wohnung dieser Frau sah es anders aus. Er hat ebenfalls in dieser Wohnung gelebt, hat sogar einige Möbelstücke daraus mitgebracht, seine alte Sitzgarnitur. Ich erinnere mich noch deutlich an den Brandgeruch, den die Couch ausströmte. Du musst es doch auch gerochen haben. Du warst oft genug bei ihm. Damit sind es schon zwei, Barby und eine Unbekannte. Jetzt kommt Tess dazu, das macht drei.»
Sie schüttelte den Kopf. Aber widersprechen konnte sie mir nicht. Sie war in den vergangenen beiden Jahren zweimal in der Woche für ein paar Stunden, in den letzten Wochen angeblich nur noch für wenige Minuten mit Jan zusammen gewesen, Tess dagegen Tag und Nacht. Tess dürfte eine Menge mehr über den Roman gewusst haben als sie. Vielleicht hatte Tess sich
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