Meineid
intensiv mit dem Computer beschäftigt, wenn Jan nicht im Haus war. Da ich sie gewarnt hatte, musste sie irgendwann begriffen und die richtigen Schlüsse gezogen haben. Sie kannte Jan gut genug, um zu wissen, dass er sich solch eine Story nicht aus den Fingern saugen konnte.
«Unsinn, protestierte Greta lahm.
«Beim geringsten Verdacht wäre Tess als Erstes zu mir gekommen und dann zu den Medien gerannt. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass sie sich solch eine Geschichte hätte entgehen lassen. Mein Mann, der Massenmörder! Das hätte sie einigen Zeitungen und dem Fernsehen verkauft, wie ich sie kenne.»
«Kannte, korrigierte ich.
«Ich kannte sie auch, Greta, ich weiß nur nicht mehr, wie gut.»
«Ich auch nicht, murmelte sie, kam noch einmal zurück auf die Behauptung mit der verschlossenen Tür.
«Und ich frage mich, ob ich sie jemals richtig gekannt habe. Was hat sie sich davon versprochen, dir so etwas zu erzählen? Wollte sie mich so gegen sich aufbringen, dass ich ihr Haus nicht mehr betrete? Was hat sie bezweckt, wenn sie uns vormachte, sie wäre betrunken? Was wollte sie erreichen mit ihrer Drohung, Jan in den Knast zu bringen?»
«Das ist noch einfach zu beantworten», sagte ich.
«Sie wollte sich von ihm trennen.»
«Irrtum, widersprach Greta.
«Er sich von ihr.»
Ich hob die Achseln.
«So stellt er es dar. Tess hat es mir anders geschildert. Aber es läuft aufs Gleiche hinaus. Sie wollte das Haus und fünftausend Mark im Monat. Sie hat versucht, ihn zu erpressen. Sie muss etwas herausgefunden haben, Greta. Und es muss gravierend genug gewesen sein, ihn damit unter Druck zu setzen. Sie hat ihn mit diesem zweiten Telefongespräch in die Enge getrieben. Er hat die Nerven verloren und sie umgebracht. Dann hat er dich angerufen. So war es doch.»
«Nein», sagte sie.
«Wie oft muss ich das noch wiederholen? Ich bin zu ihnen gefahren und war kurz vor vier –»
Ich unterbrach sie mit bedächtigem Kopfschütteln.
«Wenn es hart auf hart kommt, kann ich dich in drei Sekunden widerlegen. Denk noch einmal in Ruhe über alles nach. Ich bin sicher, du wirst begreifen, was du jetzt tun musst.»
Das musste sie nicht erst begreifen. Das wusste sie schon. Und obwohl ich noch nicht wusste, was an diesem Abend tatsächlich geschehen war, war auch mir klar, was ich jetzt zu tun hatte: zunächst herausfinden, wie Barringer tatsächlich geheißen hatte, ihn ausfindig machen und in Erfahrung bringen, wer Barby gewesen und wie sie gestorben war. Als ich endlich ging, was es fast sechs Uhr morgens. Es behagte mir nicht, Greta mit Jan allein zu lassen. Aber eine unmittelbare Gefahr für sie sah ich nicht. Er mochte eine wandelnde Zeitbombe sein, doch kurz nach einer Explosion gibt es immer genügend Zeit, die Trümmer zu beseitigen. So sah ich es. Wenn ich auch nur eine Ahnung gehabt hätte, welchen Albtraum er Greta in den nächsten Stunden bescherte, ich hätte ihre Wohnung auf keinen Fall verlassen. * Es war bereits hell, als Greta die Tür hinter mir schloss. Es wurde Zeit, die Fenster zu schließen, damit die Tageshitze draußen blieb. Greta war völlig erschöpft, schaute nur noch kurz ins Schlafzimmer. Jan lag auf der Seite, mit dem Laken zugedeckt. Seine Augen waren geschlossen, der Atem ging regelmäßig. Es war ein friedlicher Anblick. Barby, dachte sie, war ein Unfall. Barringer war ein Freund, Tess war tot. Und sie war müde, in den Gliedern, in der Brust, im Kopf, so müde wie nie vorher. Sie zog die Schlafzimmertür leise hinter sich zu, ging zurück ins Wohnzimmer und legte sich – so wie sie war – auf die Couch. Nur die Schuhe zog sie aus und nahm die Kontaktlinsen heraus. Eine Decke brauchte sie nicht. Es war warm genug im Zimmer. Trotz der Müdigkeit kam sie nicht zur Ruhe. Sie hielt die Augen geschlossen, versuchte mit allen möglichen Tricks abzuschalten, nichts half. Es war alles noch so gegenwärtig. Der makellose Rücken auf der Liege, der herunterhängende Arm, das T-Shirt, das blutige Messer, Jans blutiges Hemd, sein Zusammenbruch, Feiberts Notizbuch und Karreis’ undurchdringliche Miene, ich mit meinen Zweifeln und den vier Seiten. Ich hatte sie mitgenommen, Greta wusste, ich würde keine Ruhe geben. Sie grübelte, womit ich sie in drei Sekunden widerlegen könnte, taumelte von einem Bild zum anderen. Nicht schlafend und nicht wach. Die Erinnerungen der letzten Stunden machten sich selbständig, sodass sie sogar die Geräusche hörte, die mit ihnen einhergingen. Das
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