Meinen Sohn bekommt ihr nie
höre ich im Wohnzimmer die Sirenen der Krankenwagen. Wie so oft nach Terroranschlägen ist das Telefonnetz überlastet, eine Verbindung ins Ausland ist unmöglich. Irgendwann erreichen mich meine Eltern dann doch, sie machen sich groÃe Sorgen. Auch Daoud, unser Freund aus Pkiâin, ruft an, um zu erfahren, wie es mir geht.
Dieser Vorfall wühlt mich auf. Zum ersten Mal habe ich Angst. Meine sichere Insel Tel Aviv gibt es nicht mehr. Unter diesen Umständen fange ich an, mir Gedanken über unsere Zukunft in diesem Land zu machen.
Am nächsten Tag spende ich für ZAKA. Die israelische Hilfsorganisation ist weltweit tätig. Sie stellt Soforthilfe bereit und identifiziert Opfer von Terrorakten, Unfällen und Naturkatastrophen. Auch übernimmt sie es, die sterblichen Ãberreste der Opfer zu bergen, damit diese in Würde bestattet werden können, wie es der jüdische Glaube verlangt. Diese Menschen bei der Arbeit zu sehen, berührt mich tief. Auf Hebräisch verwendet man dafür den Ausdruck «chesed shel emet», die wahre Nächstenliebe, da sie jemandem entgegengebracht wird, von dem keine Gegenleistung zu erwarten ist.
Shai kommt wenig später gut gelaunt von seiner Reise zurück, den Kopf noch voller südafrikanischer Klänge. Ich habe andere Bilder im Kopf.
«Versprich mir, dass du mich nie mehr allein lassen wirst», fordere ich. «Versprich es mir!»
Er verspricht es. Doch er wird sich nicht daran halten.
Als unmittelbare Folge des Anschlags auf das Dolphinarium ordnet die Regierung von Ariel Scharon den Bau einer Sicherheitsmauer zwischen Israel und dem Westjordanland an.
Das Leben in Tel Aviv geht indes bald wieder seinen gewohnten Gang, doch die Anspannung bleibt. Armee und Polizei sind im Dauereinsatz, die Sicherheitskontrollen an öffentlichen Plätzen verschärfen sich, viele Kaufhäuser und Restaurants heuern private Sicherheitsdienste an. Die israelische Gesellschaft hat jedoch, wie es ein Politiker einmal treffend formulierte, gelernt, Antikörper zu bilden, um sich selbst, um das eigene Leben zu schützen. Immer weitermachen, bloà nicht dem Terror nachgeben. Das lebhafte Tel Aviv verkörpert geradezu diesen Geist des Widerstands. Schon bald sind die Einkaufszentren, Restaurants, Clubs und Strände bei Tag und bei Nacht wieder voller Menschen, als ob nichts geschehen wäre.
Hochzeit Nummer zwei
Dann reisen wir nach Europa. Für mich ist es der erste Besuch in der Schweiz seit meinem Abschied vor fast zwei Jahren. Nun bin ich an der Reihe, für Shai die Fremdenführerin zu spielen. Wir besichtigen Lausanne, Genf, die Schweizer Alpen, fahren über die Grenze nach Frankreich. Meine Freunde nehmen uns begeistert bei sich auf und lassen es uns an nichts fehlen. Es macht mir SpaÃ, allen meinen gutaussehenden und charmanten Bräutigam zu präsentieren. Shai zeigt sich gewohnt offen, gesellig und neugierig auf alles und jeden. In Annecy bei meinen Eltern kaufe ich Schuhe und ein schlichtes, elegantes, elfenbeinfarbenes Brautkleid. Shai schenke ich ein Paar neue Inliner, mir kaufe ich die gleichen, damit wir zusammen skaten können.
Unser Aufenthalt in der alten Heimat verläuft ausgesprochen angenehm. Bis auf einen kleinen Vorfall: Als wir einmal mit Freunden zusammensitzen, sagt Shai plötzlich auf Englisch und mit der typisch israelischen Direktheit, dass er das Französische, die französische Sprache hasse.
Ich scherze: «Dabei ist es die Sprache der Liebe.»
«Ich mag die Sprache nicht, sie tut mir in den Ohren weh», erwidert er.
«Dein Pech», sage ich. «Dann spare ich mir diese Sprache für meine Familie und meine Freunde auf. Keiner zwingt dich, sie zu lernen.»
Da wir untereinander Englisch reden und mein Hebräisch mittlerweile ganz ordentlich ist, vergesse ich die Sache schnell wieder.
In Tel Aviv steht alles im Zeichen der Hochzeitsvorbereitungen, die, wie zu befürchten war, eine echte Herausforderung sind. Da die Heirat in Israel jüdischem Recht unterliegt, beginnt der Hochzeitsmarathon mit dem Gang zum Rabbinat, wo wir eine Anmeldeakte eröffnen. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass dafür gröÃtenteils dieselben Dokumente vonnöten sind wie für die Einreise nach Israel. Wir gewinnen wertvolle Zeit. AnschlieÃend geht es zum Rabbiner. Er prüft, ob wir alle Voraussetzungen für eine jüdische Heirat erfüllen. Shai und ich
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