Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
Vom Netzwerk:
Hochschullehrer, gestützt auf Großadmiral von Tirpitz und den Scharfmacher Erich Ludendorff, verlangen »Lebensraum« für die deutsche Bevölkerung und ein »großgermanisches Mitteleuropa« – Hitler konnte nahtlos anknüpfen.
    Kurt, zu Anfang des Krieges noch der Eroberer schlechthin, tendiert in seinen Briefen an HG inzwischen vorsichtig zu einem Verständigungsfrieden, »ehrenwert natürlich und den deutschen Siegen angemessen«. Aber die hohen Verluste an der Front und vor allem seine Erfahrung in der Kriegsamtstelle mit dem Elend der Zivilbevölkerung lassen ihn wünschen, »daß ein gerechtes Ende werde«. Der Ton zwischen Vater und Sohn hat sich verändert. Kurt schreibt an den Junior inzwischen von Mann zu Mann, auch von Soldat zu Soldat. HG ist mittlerweile auf einem Fahnenjunker-Lehrgang in Döberitz bei Potsdam. Endlich erübrigen sich die schwierigen Protokollfragen der Militärhierarchie, hier sitzen Gleichrangige aus ganz Deutschland im selben Boot. HG wird am 20. März 1917 zum Unteroffizier befördert, das geht ja nun wirklich schnell, und in Döberitz schließt er mit einer ganzen Reihe von Jung-Männern Freundschaft, die sich bis in den Zweiten Weltkrieg und in die Kreise des Widerstands hinein hält. Anschließend, und das ist jetzt der Juli 1917, zieht er um zur Schlußausbildung in eine Kaserne nach Tilsit, liegt eine Weile mit schwerer Darminfektion im Lazarett, und dann beginnt für HG der Krieg.
    Nach der deutschen Besetzung 1915 war zwei Jahre lang Ruhe gewesen in Kurland – weiß jemand, was Kurland ist? Das liegt im Süden Lettlands und hat etwas mit der Geschichte des Deutschen Ordens zu tun. Jetzt war es der nördlichste Punkt der Besetzungslinie Bukowina-Rigaer Bucht. Die Stadt Riga war nicht eingenommen, und darum ging es nun plötzlich. Die Oberste Heeresleitung mußte an der Ostfront den Rücken frei bekommen, seit die USA im Frühjahr 1917 in den Krieg eingetreten waren. Also sollte ein Separatfrieden mit Rußland her, das ohnehin geschwächt war. Einmal hatte dort im März eine erste Revolution den Zaren Nikolaus hinweggefegt, zum anderen erlaubte Ludendorff drei Tage nach der amerikanischen Kriegserklärung dem Mann, der sich Lenin nannte, aus der Schweiz quer durch Deutschland nach St. Petersburg zu reisen. Der und seine bolschewistische Revolution, so Ludendorffs Plan, sollten Rußland vollends destabilisieren und der Frieden den Deutschen wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen.
    Vor einem Friedensvertrag will Ludendorff schnell noch Riga und die Inseln vor der Bucht einsacken – das geht schon mal in die richtige Richtung, St. Petersburg liegt um die Ecke. Die erfolgreiche Schlacht um Riga dauert vom 1. September bis zum 5. September 1917 und ist HGs erstes Gefecht. Der ferne Vater schreibt mit einer gewissen Sehnsucht: »Wie freue ich mich für Dich, daß Du dabei sein kannst. Daß Du in eine solche nette Zeit hineinkommst« – er meint tatsächlich den Kampf – »gönne ich Dir von Herzen. Das ist ja das Schönste, was einem jungen Kavalleristen passieren kann. Aber denke dran, daß bei allem Schneid und Wagemut kein unnötiges Sich-aufs-Spiel-Setzen vorkommen soll. Hauptsache ist bei dem Erkunden der Kavalleriespitzen, daß Meldungen richtig zurück kommen, und dieser Zweck wird nur erreicht, wenn der Führer sich nicht unnützerweise abknallen läßt.« Wo er recht hat, hat er recht.
    Abknallen läßt HG sich nicht, aber schon am zweiten Tag wird er verwundet. Ihn trifft ein Schulterdurchschuß, abgemildert durch den Umstand, daß die Kugel zunächst sein Fernglas zertrümmert. HG paßt diese Verwundung gar nicht. Endlich ist Krieg, und er fällt gleich zu Anfang aus. Er will schnellstens zurück zur Truppe, weil er sonst wieder mal das Gefühl hat, das Leben gehe an ihm vorbei. Mutter Gertrud und Schwester Annie machen sich sofort auf den Weg ins ferne Tilsit, wo der junge Krieger im Lazarett liegt, Kurt zeigt brieflich Mitgefühl: »Schade, daß sie Dich so schnell erwischt haben. Denn der geschlagenen 12. Armee« – der russischen – »so als Kavallerist auf den Fersen zu bleiben, ist eine famose, wenn auch rasend anstrengende Aufgabe.« Immerhin schreibt er dann: »Ich danke Gott, daß er Dich so gnädig beschützt hat.«
    Keine drei Wochen danach bekommt HG das Eiserne Kreuz II. Klasse – entweder wird das im Fortgang des Krieges inzwischen inflationär verteilt, oder der Junge hat sich bis zu seiner Verwundung tatsächlich in der Schlacht

Weitere Kostenlose Bücher