Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
hervorgetan. Die Eltern sind jedenfalls stolz, Vater Kurt ein bißchen spitz: »Ich habe viel länger darauf warten müssen.« Aber er war schließlich auch nur in der Etappe. »Du hast ganz recht«, schreibt er mit einem Anflug von Bedauern, »ich bin nie so toll im Feuer gewesen.«
Was geht bloß vor in diesen Männern? In fast jedem Brief ist die Rede davon, daß jemand aus dem Freundeskreis oder aus der Familie gefallen ist. Drei der Vettern, mit denen HG aufgewachsen ist, sind tot. Einer von ihnen hat in Flandern vorausgesehen, daß er die Schlacht bei Ypern nicht überleben wird, und ergreifende Abschiedsbriefe an seine Eltern hinterlassen: »Hoffentlich bleibt mir ein allzu schwerer Todeskampf gnädig erspart. Schade nur, daß der Tod so bald eintreten muß, nachdem das Leben seit meiner Offiziersbeförderung angefangen hat, wirklich schön zu werden. Trauert nicht um mich, denn Ihr könnt auch nicht wissen, wozu mein früher Tod gut gewesen ist. Lebt wohl, Gott schütze Deutschland und tröste Euch über Euren Schmerz.« Vetter Albrecht war 21 Jahre alt.
Kurt schreibt über die Beerdigung eilig in zwei Absätzen – »es hat mich tief ergriffen«, um dann übergangslos »noch zwei Notizen« anzuhängen: »Man ißt jetzt hier im Excelsior-Hotel sehr gut« – Kurt ist in Berlin – »Suppe, ein Gang und Speise für vier Mark. Ich war überrascht, wie gut das Essen war. Dann habe ich eine neue kleine Weinstube kennen gelernt, ›Pfuhl‹ in der Königgrätzer Straße, am Eingang steht ein grünes Schild ›Naturreine Weine‹. Sehr zu empfehlen.« Was mache ich mit einem solchen Brief? Schlimmer: Was macht HG damit? Er hat den Vetter geliebt! Oder das hier: »Wie ist es denn jetzt mit der russischen Artillerie, schießen die jetzt auch mit Gas-Granaten? Wir haben da ja jetzt prachtvolle neue Dinger, die uns in Flandern sehr gut genützt haben.« Das schreibt derselbe Mann, der sich darüber empört hatte, daß die »perfiden Engländer« Dumdumgeschosse verwenden.
Acht Wochen – September/Oktober 1917 – steckt HG im Stellungskrieg an der Düna. Viel später wird er sagen, das sei »eklig gefährlich« gewesen, und »ich wundere mich immer noch, daß ich da heil rausgekommen bin«. Jetzt schreibt er: »Jede Nacht kommen irgendwelche Polski-Trupps und wollen uns überfallen. Im Großen und Ganzen freue ich mich aber kolossal, noch so viel Krieg mitmachen zu dürfen, nur wäre mir ein großer Krieg bedeutend lieber als diese Rumkriecherei in Wäldern und Sümpfen.« Zur Erholung wird HG danach mit acht Leuten irgendwo ins Hinterland von Wilna in den Wald geschickt und übt dort, Vorgesetzter zu sein. »Bandenbekämpfung in Litauen« steht für diese Zeit in seinen Militärpapieren, aber davon sieht und hört er nichts. Er ist inzwischen 19, und er langweilt sich zu Tode, weil sich nichts tut außer Pferde putzen.
Gertrud versucht, ihn zu trösten: »Du hast doch gleich zuerst solch fröhliches (!) Stück Krieg erlebt und bist so gnädig behütet worden!« Natürlich ist sie erleichtert, daß die Gefahr einer weiteren Kugel für ihn erst mal gebannt ist, und fröhlich schwatzt sie ihre mütterliche Fürsorge aufs Papier: »Kerzen bekommst Du, aber denk an Deine Augen und lies nicht bei zu trübem Licht. Versuch bitte, Dich dem Trinken zu entziehen. Und paßt Du auch auf Deinen Darm auf – mit so was ist nicht zu spaßen. Hüte Dich vor schlechtem Wasser!« Daß HG Wölfe jagt, erschreckt sie ein bißchen, »aber Du bist ja ein guter Schütze«.
Die Langeweile vertreibt sich HG mit beinahe täglichen Briefen nach Hause, und wenn es nach ihm ginge, so lese ich da, dann sähe die Politik ganz anders aus. Kurz vor Weihnachten 1917 beginnen die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, und HG wütet: »Kühlmann ist doch ein Weichling erster Klasse.« Richard von Kühlmann, Chef des Auswärtigen Amts, vertritt dort die deutsche Seite und versucht – vergeblich – gegen den Widerstand Ludendorffs, die Zeit nach dem Krieg im Blick zu behalten, wo man Rußland als Partner noch brauchen würde. »Verräter an der deutschen Sache«, beschimpft ihn HG, »Kühlmann ist der einzige Mensch, den ich mit Vergnügen an den nächsten Baum stellen lassen würde, obgleich eine ehrliche (!) deutsche Soldatenkugel eigentlich noch viel zu schade dazu ist.«
Kurt, wirklich ein geduldiger Vater, antwortet auf drei engbeschriebenen Seiten, wenn auch mit mildem Spott: »Leute, die auf dem Berge stehen, sehen in der Regel
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