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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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wenn man den Sohn »in die Selbständigkeit entläßt«. Gertrud weiter: »Brauchst Du Hirschtalg? Bist du durchgeritten? Geh rechtzeitig ins Bett und rauch nicht so viel!" Tatsächlich hat HG auf jedem Foto eine Zigarette im Mund.
    Nach knapp vier Wochen ist das Kasernenleben vorbei, und HG bezieht zwei möblierte Zimmer in der Nähe. Die Zimmerwirtin kocht das Essen, Vater Kurt zahlt. Jetzt geht HG morgens zum Dienst wie andere ins Büro, hat seinen Koffer auspacken können und dort Unterhosen und von Gertrud versteckte Kekse gefunden. Er bekommt aus Halberstadt Eimerchen mit Pflaumenmus geschickt und versorgt Gertrud mit Seife, die es in Königsberg noch zu kaufen gibt.
    Anfang Oktober 1916 wird HG in Halberstadt zur Musterung bestellt – das war also knapp, und Gertrud ist »doch froh, daß Du schon Soldat bist. Wer weiß, wohin es Dich verschlagen hätte.« Da ist Königsberg schon eine passable Ecke, vor allem, weil die familiären Beziehungen genügend Landgüter und Herrenhäuser in der Umgebung zutage fördern, wo der junge Mann seine Wochenenden verbringt, der gnädigen Frau die Hand küßt und mit dem Hausherrn Enten schießt. Daß HG in der Kaserne beauftragt wird, Remonten (Jungpferde) zu reiten, spricht für seine Sattelfestigkeit, und Ende November, jetzt ist er 18, wird er zum Gefreiten befördert. Gertrud: »Wir freuen uns, daß Du den höchsten Grad der Gemeinheit (!) so schnell überwunden hast. Aber gleich 12 bis 15 Rekruten kommandieren – alle Achtung. Ich möchte Dich mal sehen dabei.«
    Kurt ist Ende 1916 von Grodno nach Magdeburg beordert worden, wo er im Range eines Regimentskommandeurs Leiter der neu eingerichteten Kriegsamtstelle wird. Das war ein Instrument des »totalen Krieges«, auch wenn das damals noch nicht so hieß. Dazu muß man wissen, daß die militärische Situation Deutschlands 1916 alles andere als rosig war: die Hölle von Verdun, fünf Monate mörderische Schlacht an der Somme, Verluste in Italien, der Durchbruch Rußlands in der Bukowina, Rumäniens Eintritt in den Krieg, die nichtsnutzige Seeschlacht im Skagerrak, nichtsnutzig deshalb, weil die Deutschen gegen die Engländer taktisch zwar erfolgreich waren – gut fürs reichsdeutsche Ego! –, aber strategisch ging die Metzelei aus wie das Hornberger Schießen. Die Deutschen und ihre Verbündeten hielten sich überall, aber zu welchem Preis!
    Am 29. August 1916 übernahmen Hindenburg und sein Erster Generalquartiermeister Ludendorff die Oberste Heeresleitung, und das war im Grunde der Beginn einer Militärdiktatur. Ab jetzt galt in Deutschland der militärische »Belagerungszustand« mit Pressezensur, der Kontrolle von Versammlungen, willkürlichen Verhaftungen und Standgerichten. Verantwortlich waren die Stellvertretenden Generalkommandos, die praktisch die zivile Verwaltung ablösten. Es ging um die Mobilmachung der Heimatfront, und die war in der Tat »total«. Der »Hindenburg-Plan« sah vor, die letzten Reserven an Menschen und Material an den Fronten einzusetzen, und so sollte die kriegswichtige Produktion noch weiter hochgefahren und jeder wehrtaugliche Mann aus den Fabriken in die Armee abgezogen werden.
    Ersatz war aus der Bevölkerung zu rekrutieren, und das diesbezügliche »Gesetz betr. Einziehung zum vaterländischen Hilfsdienst während des Krieges« verpflichtete jeden Mann vom 17. bis zum 60. Lebensjahr zum Dienst bei Behörden, zur Arbeit in der Kriegsindustrie, in der Landwirtschaft, in der Krankenpflege, im Transportwesen oder wo immer eingezogene Arbeitskräfte ersetzt werden mußten. Das durchzusetzen, die Energieversorgung nach Möglichkeit sicherzustellen und gleichzeitig für ausreichende Ernährung der Kriegsarbeiter zu sorgen, war Aufgabe der Kriegsamtstellen.
    Besondere Aufmerksamkeit wird den Frauen gewidmet, die in den Rüstungsbetrieben nunmehr Männerarbeit leisten sollen. Bei Leuna in Merseburg etwa werden 3000 Frauen »zur Erdbewegung« eingesetzt, in den Sprengstoff-Werken Reinsdorf oder der Munitionsanstalt in Gerwisch arbeiten jeweils 5000. Kurt richtet in seiner Kriegsamtstelle ein eigenes Referat für Frauen ein, das sich um Kinderkrippen, Still-Zeiten, Pausen und »frauengemäße Belastung« kümmert, vor allem aber um die Abwendung sittlicher Gefährdung.
    In die Etappe, wo Frauen als Schreibkräfte, Köchinnen, Telefonistinnen arbeiten, damit die Männer an der Front eingesetzt werden können, schickt Kurt ziemlich bald jeweils eine Aufsichts-Frau mit. Die hat darüber zu

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