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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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deinem Volk. Es ist dein angeborener Platz«. Das hat der Junge gelernt von klein auf, und HG findet das denn auch »ziemlich einfach«. Der Tag drauf bringt ihn ins Schwitzen: »Sie haben mich in Latein, Mathematik und Geschichte geprüft, und zwar besonders von Seiten des Chefs ziemlich gemein, über eine Stunde lang. Ich wünsche keinem Menschen so ein Mündliches.«
    Was mag den Direktor geritten haben? Menschenliebe, weil er junge Männer daran hindern wollte, im Schlachtengetümmel zu krepieren? Oder war es eine Art Trotz: Im Krieg müssen nicht auch noch die Bildungsstandards vor die Hunde gehen? HG schafft das Abitur nur ziemlich knapp, doch danach kräht hinterher kein Hahn mehr. Er kommt mit Lorbeer bekränzt nach Hause, er ist »mulus« und hat ein halbes Jahr Schule gespart. Er ist Fahnenjunker, und die Mutter singt Schubert am Harmonium: »Nun muß sich alles, alles wenden«.
    HG soll acht Tage später in Königsberg antreten, und Gertrud bekommt jetzt doch Angst vor ihrer mütterlichen Courage. Königsberg ist nicht um die Ecke, Grodno liegt da schon näher. »Hast Du Dir überlegt«, barmt sie im Brief an Kurt, »daß der Junge sich dann ganz allein in der wildfremden Stadt, in der man noch nicht mal ein Hotel kennt, zurechtfinden soll? Er muß doch gewiß gleich eine Wohnung nehmen, denn in die Kaserne darf er doch nur das Nötigste mitnehmen«. Soll denn nicht wenigstens einer von ihnen mitfahren? »Man muß hier morgens um 4 Uhr fort, um abends 8 Uhr in Königsberg zu sein, oder man fährt nachmittags um 3.55 ab, nimmt von Berlin den Zug um 11 Uhr 3, dann kommt man morgens um 8.35 an. Dann könntest Du ihn doch dort vielleicht in Empfang nehmen und sorgen, daß er sich erst tüchtig ausruht und nicht käsebleich beim Regiment erscheint.«
    Kurt macht das. Er verbindet die Reise mit einem Einkaufstrip für seine Grodnoer Ramsch-Waren und liefert den Junior nach einer letzten komfortablen Nacht im Hotel am 7. September 1916 in der Kaserne Königsberg-Rotenstein ab. Mit HGs neuem Chef, Major von Mandelsloh, wechselt er vorher noch ein Wort unter Offizieren. Das bewährt sich – in Zukunft wird der Major dem Kameraden Rittmeister regelmäßig Berichte über HGs Fortkommen schicken.
    Die ersten Wochen sind nicht einfach. HG ist der einzige Junker am Ort, nicht Fisch, nicht Fleisch. Mit den Mannschaften soll er möglichst nur dienstlich verkehren – wie denn, wenn er mit denen gemeinsam »auf Stube liegt«. Ins Offizierskasino zum Essen darf er nicht, weil er noch keiner ist, und mit den anderen geht das auch nicht – Kurt warnt ihn: »Ganz selbstverständlich darfst Du als Junker nicht regelmäßig mit dem Eßnapf antreten. Geschieht das mal in einem Ausnahmefall, dann wird niemand was dabei finden, aber ja nicht öfter« – er müsse sich außerhalb verpflegen. Das macht er allein, denn weder die einen noch die anderen können ihn begleiten.
    Daß er zu Hause täglich reitet, solle er auch nicht erzählen – Kurt: »Da findet schon jemand die Gelegenheit, Dich als Stümper vorzuführen« – und er müsse darauf achten, daß er seine Uniformen öfter aufbügeln lasse, »ein Junker hat immer picobello auszusehen«. Die Uniformen sind übrigens in Halberstadt genäht, auch die Stiefel werden dort hergestellt, schwierig, weil es keine Stoffe und kein Leder gibt. Aber es ist auch im Krieg noch so, daß die Offiziere, auch die Anwärter, über die Basisausstattung hinaus ihre Klamotten zu Lasten von Papas Portemonnaie mitbringen müssen. Das hat sich übrigens gehalten: Obwohl das Dienstanzüge sind, zahlen die Offiziere der Bundeswehr ihre Uniformen selbst, sieht man von einem Garderoben-Zuschuß von stolzen 15 Euro im Monat ab.
    Beide Eltern flattern brieflich um HG herum. Gertrud: »Hier kommt frische Wäsche. In den Karton packst Du Dein schmutziges Zeug, eine frankierte Paketkarte lege ich dazu, den Bindfaden kannst Du wieder verwenden.« Kurt: »Wenn Du meinst, Du seist dem Unteroffizier L. ›über‹ und Du würdest ihm als Vorbild hingestellt, so wird das keineswegs die Kameradschaft fördern. Vorbilder sind einem gewöhnlich unangenehm. Also Vorsicht!« Gertrud: »Schläfst Du oben oder unten« – im Etagenbett – »und kannst Du Deinen Koffer vielleicht unters Bett schieben?« Kurt: »Du solltest den Major ruhig bitten, Dich vom Stalldienst zu befreien« – HG muß täglich zehn Pferde putzen. Gertrud: »Hoffentlich haben Deine Kameraden eine gute Kinderstube.« So sieht das aus,

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