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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Patron nicht schade ist. Gott sei Dank, daß es nicht umgekehrt war. Heute kam wieder ein so schönes Butterpaket von Dir, wir alle danken Dir und von der anderen Sache erfährt einstweilen niemand.«
    Der Rittmeister schreibt an Kurt: »Ich kann Ihnen nur versichern, daß Hans Georg in der ganzen Angelegenheit als äußerst besonnener, ruhig handelnder, tatkräftiger Mensch und Soldat gehandelt hat. In diesem Sinne habe ich auch zu meiner Freude an das Regiment berichten können. Ich hoffe sehr, daß er die seelische Niedergeschlagenheit bald überwinden wird.«
    Der Kommandeur der 1. Kavallerie Division erläßt folgenden Tagesbefehl: »Ich spreche dem Fähnrich Klamroth (Drag.1) meine Anerkennung aus für sein umsichtiges und energisches Verhalten gelegentlich der Festnahme zweier Militärpersonen, die in Sallotak einen Diebstahl begangen hatten. Vorstehendes ist dem Fähnrich Klamroth bekannt zu geben.«
    Doch, das alles hilft HG. Aber es heilt ihn nicht. Über die Jahrzehnte läßt der Schütze Franz Vitt ihn nicht los, der Mann, den er am 22. April 1918 erschossen hat. Er taucht in seinen Tagebüchern auf, in Briefen an die Braut, später die Ehefrau Else. Im Frühjahr 1942, gleich nachdem HG im Rußlandfeldzug als Abwehroffizier nach Pleskau versetzt worden ist, fährt er Hunderte Kilometer weiter nach Sallotak, sucht und findet den Bauernhof, wo das Schwein geklaut wurde, geht über das Feld, wo er den Franz Vitt getötet hat. Was ist passiert mit ihm?
    Daß der Schütze Vitt ein Mensch war – HG an Kurt: »Du hast noch nie einen Menschen erschossen« – und der russische Offizier eine Trophäe, muß ich irgendwie hinnehmen. Der Tod des Russen stört mich weniger – im Krieg ist das so. Mich empört der Ton hinterher, die aufgesetzte Verachtung, das Nachtreten. Franz Vitt jedoch war für HG »einer von uns«, ein Deutscher, kein Feind. Er hat sich aufgeführt wie ein Feind, genau wie der russische Rittmeister. Beide wollten HG erschießen. In beiden Fällen war es eine Frage von Sekunden, die er schneller war.
    Dem toten Franz Vitt wird nicht hinterhergepöbelt, im Gegenteil. HG bittet Vater Kurt herauszufinden, ob die Familie des Schützen Vitt Unterstützung braucht, und ihr Geld zu schicken aus seinen, HGs, Ersparnissen: »Gewöhnlich ist ja mit Geld nicht zu helfen, aber vielleicht in diesem Falle doch. Du wirst verstehen, daß ich jetzt noch nicht an sie schreiben möchte; ein etwa daraus entstehender Briefwechsel wäre sicher für beide Seiten nicht gut.« Kurt macht sich eine Notiz »z.d.A« (zu den Akten) auf HGs Brief: »Ich unternehme zunächst nichts. Die Familie könnte die Unterstützung falsch auffassen und Erpressung versuchen. Der Staat muß für die Familie sorgen, falls sie in Not ist und der Erschossene ihre einzige Stütze war.« Das Versorgungsverfahren für die Familie Vitt kommt erst im August 1920 in Gang, fast zwei Jahre nach dem Krieg – wovon die wohl gelebt haben so lange?
    Warum treibt diese Geschichte HG so um? »Du Hund hast mich betrogen«, schreit Vitt, als HG ihm auf dem Feld mit gezogener Pistole befiehlt, die Waffen rauszugeben. Das ist ja richtig. In den Vernehmungsprotokollen ist zu lesen, daß HG sich zum Schein auf einen Handel mit Vitt einließ, ihm Geld abnahm – 100 Mark –, um dem Bauern das gestohlene Schwein im nachhinein abzukaufen. Dann schlug HG vor, das Geschäft mit Schnaps zu begießen, und forderte Franz Vitt auf, ihn zur Destille zu begleiten. Auf diese Weise lockte er ihn aus dem Wald. HGs Vorgesetzte hielten das für umsichtig und tatkräftig, denn sein Auftrag lautete eindeutig, den Delinquenten festzunehmen. Schütze Vitt jedoch wird geglaubt haben, er sei der für ihn ausweglosen Situation mit 100 Mark entkommen. Er war vermutlich arglos, als er den schützenden Wald verließ, und außer sich, als er begriff, die Rechnung geht nicht auf. War es die Täuschung, die HG so quälte?
    Zunächst mal ist er trotz der Knoten in seiner Seele schlicht glücklich, daß er lebt: »Wenn ich mir die wunderschöne Welt ansehe, dann bin ich doch von Herzen froh, daß ich mit meinem Schuß nicht zögerte. Das Leben scheint mir wie neu geschenkt, und das wird es hoffentlich auch wirklich sein, nach der Gerichtsverhandlung.« Dazu kam es gar nicht. Die Vernehmungen von HG wurden als Zeugenaussagen gewertet ebenso wie die vielen anderen, die der Bauern, von Dorfbewohnern, des Dolmetschers. Alle haben sie natürlich zugunsten von HG ausgesagt, wie denn auch

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