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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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gewartet, und schon knallte meine gute Parabellum zweimal, worauf er links vom Sattel sank, aber vom Pferde noch über die Brücke zurückgeschleift wurde. Dort fanden wir ihn, es war der Rittmeister, beide Kugeln hatte er in der linken Lunge. Der erste Mensch, den ich bewußt getötet habe; Krieg!«
    Es gibt nie wieder einen Hinweis auf dieses Ereignis. Nicht von HG, und auch Kurt und Gertrud gehen mit keinem einzigen Wort darauf ein, es sei denn, man will Gertruds Satz – »wir freuen uns mit Dir an Deinen vielen herrlichen Erlebnissen« – als Kommentar verstehen. Niemand moniert den unsäglichen Ton, niemand verbittet sich diese präpotente Attitüde – als habe HG hier nicht einen Menschen getötet, sondern irgendwas – ja, was denn? Er hat eine Trophäe geschossen, einen Zwölfender, aber jeder Jäger bezeugt dem erlegten Tier mehr Respekt.
    In HGs Brief geht es übergangslos weiter: Er habe sich aus der Beute einen Regenmantel und mehrere Paar Strümpfe gesichert, denn als sie nach Riga verladen wurden, sei der Offiziersgepäckwagen ausgeraubt worden, und nun habe er gar nichts mehr anzuziehen. Im Ton wird der Junge wieder zivilisiert, und nur daraus kann ich schließen, wie ihn dieser Tod des russischen Offiziers beutelt und daß er sich nur mit Unflätigkeit davor retten kann. Und niemand spricht mit ihm. Niemand hilft ihm aus dieser gottverdammten »Männlichkeit«. Es wird noch mehr Tote geben in HGs Leben, an deren Sterben er beteiligt ist. Aber nur einen Tod wird er an sich heranlassen.
    Im Norden Estlands werden die Soldaten mit einem Wald deutscher Fahnen und großem Jubel empfangen – »willkommen, ihr deutschen Befreier!« Das müssen Bilder gewesen sein wie beim Einmarsch Hitler-Deutschlands 20 Jahre später in Wien. Die baltischen Ritter, in deren Schlössern und Gütern die Deutschen Quartier beziehen, erzählen von furchtbaren Greueltaten der Roten Garden, und Gertrud in Halberstadt maltraitiert wieder Schubert am Harmonium, »Nun muß sich alles, alles wenden!« Sie ist mindestens so begeistert wie ihr Sohn: »Ein Glück, daß den Russen noch mal ordentlich gezeigt wird, mit wem sie es zu tun haben.«
    Das findet HG auch, aber noch mehr bewegt ihn die Begeisterung in der baltischen Bevölkerung – er, der kleine Soldat, plötzlich in der Rolle des Heilsbringers: »Man lebt hier vollkommen in Deutschland unter Deutschen, und das gilt auch für die Esten, die wie Deutsche sind bloß mit einem unverständlichen Dialekt. Es wäre der schwerste Fehler und zugleich die denkbar größte Gemeinheit und Frivolität, wenn die deutsche Regierung aus irgendeiner Gefühlsduselei gegenüber Rußland diese treuen, deutschgesinnten Menschen, die seit Jahrzehnten nach deutscher Herrschaft und deutscher Fürsorge gehungert haben, wieder von sich stoßen wollte, nachdem ihnen die Erfüllung ihrer Wünsche so nahe schien.« HG beschwört die Lieben daheim: »Du kannst hier fragen, wen immer Du willst, kannst es auf estnisch, lettisch, deutsch und russisch hören: bloß keine Selbständigkeit! Wir wollen ganz zu Deutschland!« Er kann sich gar nicht beruhigen. Die »idealen Deutschen« erlebe er hier, denn »so etwas von Liebenswürdigkeit, Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, Berufstüchtigkeit und Liebe zum fernen Vaterlande wird man bei uns bei wenigen Menschen vereint finden!«
    Gertrud strahlt mit: »Voller Begeisterung stürzt man sich täglich auf den Heeresbericht. Was sind das für große herrliche Tage, daß Ihr den Deutschen dort die Freiheit bringt.« Nur Kurt ist zurückhaltender: »Du schreibst, daß alle dort, auch die Esten und Letten, den Anschluß an Deutschland wünschen, und ich glaube auch gern, daß sie Dir nichts anderes sagen werden. Aber im neutralen Auslande hört man von estnischen und lettischen Vertretern, daß die meisten Menschen im Land ein autonomes Staatsgebilde wünschten. Also lassen wir die Sache erstmal etwas abklären, denn jetzt kann man noch gar nicht urteilen.«
    Von Abklären ist bei HG nicht die Rede. Die Deutschen etablieren eine Zivilverwaltung, und plötzlich findet sich der junge Mann in einer ähnlichen Rolle wieder wie sein Vater in Grodno. Die Russen haben bei ihrem Abzug alle Akten und die Stadtkasse des Städtchens Arroküll mitgenommen, und HG sitzt hinter einer Bürotür im Schloß, auf der unter der Bezeichnung Ortskommandantur Abt II angeschlagen steht, was er alles bearbeitet, oder vielleicht muß man sagen, bearbeiten sollte: Waffenscheine,

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