Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Ordnung, fügte sich seufzend in das Drängen der verstörten Mit-Eliten in Gestalt von Zucker-Fabrikanten, Bankern, Handelsherren: »Man kann in diesen schweren Zeiten den anderen das Feld nicht überlassen.« Mußte man aber, denn die »Deutsche Volkspartei« landete wie die übrigen Konservativen unter »ferner liefen«, und Kurt konnte zu Hause bleiben. Als bei der nächsten Reichstagswahl die Rechten deutlich zulegten, war Kurt nicht mehr dabei.
HG gerät, kaum daß er angefangen hat, bei der Firma Carl Prior das Speditionsgeschäft zu lernen, in die »Hamburger Sülze-Krawalle«, eine der vielen Hunger-Unruhen des Bürgerkriegs. Das heißt, er »gerät« in gar nichts. Er wohnt in Harvestehude, und randaliert wird in Wilhelmsburg. Selbst bei seinen nun obligatorischen Geschäften im Hafen spürt er physisch nichts von den Gewaltexzessen um die Ecke. Trotzdem treibt es ihn um: »Muß ich nicht dem Vaterland zu Hilfe kommen und mich wieder bei meinem Regiment melden?« Der kluge Kurt relativiert das Vaterland: »In diesem Kampf hat keiner recht, und die Motive sind nirgendwo lauter. Ich bin froh, wenn Du Dich fern hältst. Das Vaterland braucht Männer, die die Wirtschaft ankurbeln, und Du wirst einer von ihnen sein.«
Der Sohn fügt sich, geht morgens um acht ins Kontor, in der Mittagspause von eins bis drei mampft er mitgebrachte Frühstücksstullen an der Alster – »hier gibt es jetzt ein merkwürdiges Kunstschmalz, aber mit ein bißchen Phantasie kann man das essen« –, und abends ist er selten vor sieben fertig. Dann lernt er Englisch, geht in einen Handelskurs, und er entdeckt zwei neue Leidenschaften für sich: die Großstadt und den Reiz, Geschäfte auf eigene Faust zu machen. Er verscherbelt Heringsfässer nach Ostpreußen, müht sich um den Export von Rübensamen und will landwirtschaftliche Maschinen aus den USA einführen. Er organisiert Holztransporte nach Hessen und schickt eine Ladung lebender Gänseküken nach Nürnberg – das heißt: Sie lebten, als die Reise losging. Auch sonst geht fast alles irgendwie schief, und HGs Geld, das er vorstreckt, verschwindet wie Butter in der Sonne.
Kurt sieht sich das eine Weile an, bevor er eingreift: »Rübensamen sind kontingentiert und können nur unter der Hand anderweitig verkauft werden. Das ist aber illegal, und damit befasse ich mich nicht, und Du solltest auch die Finger davon lassen. Landwirtschaftliche Maschinen aus den USA einzuführen, ist volkwirtschaftlicher Unsinn. Mit Fertigprodukten machen wir unserer einheimischen Maschinen-Industrie Konkurrenz. Dein Konto bei der Firma ist jetzt mit M 702.75 einschließlich Portokosten belastet. Ein Kaufmann, der weiß, wie schwer Geld zu verdienen ist, muß damit anders umgehen als grüne Leutnants!! Besten Gruß – Dein Alter.«
Noch könnte »der Alte« seinem Sohn ja verbieten, dummes Zeug zu veranstalten – HG, der Offizier und bis vor wenigen Monaten Vorgesetzter von ein paar Dutzend Dragonern, wird erst im Oktober 1919 volljährig. Ohne Kurts Unterschrift kein Lehrvertrag bei der Firma Prior und ohne Vaters Placet auch kein Mietverhältnis bei der Familie Bieber in der Klosterallee, wo HG ein ungeheiztes Zimmerchen mit Familienanschluß bewohnt. Aber dieser Vater verbietet nicht. Er vertraut wie früher auf die Kraft der Argumente, wenn ihm auch manchmal der Kragen platzt. Als HG einen vorgeblichen Super-Deal mit dem Export von Brotschneidemaschinen einfädelt – HG: »Diesmal klappt es bestimmt, die Sache ist bombensicher und wir werden viel Geld verdienen!« –, muß Kurt mit mehreren tausend Mark die Zwischenfinanzierung übernehmen und einen Käufer in den USA finden, der wenigstens den Einkaufspreis bezahlt.
Kurt sarkastisch: »Ich bin entzückt über Dein kaufmännisches Interesse. Wenn es nun auch noch gepaart wäre mit der gebotenen Vorsicht und Weitsicht und der Abwägung von Gewinn- und Verlust-Chancen, wäre ich vollends begeistert. Und was machst Du, wenn einer Deiner Kunden herausbekommt, daß Du nur ein Stift in einer Speditionsfirma bist und sonst gar nichts? Was tust Du, wenn Dein Lehrherr von Deinen ›Geschäften‹ erfährt? Du hast einen Namen, den Du hüten mußt, damit Du einst in die Firma eintreten kannst als ehrbarer Kaufmann, von dem man sich keine fragwürdigen Anekdoten aus der Jugendzeit erzählt.«
Das saß. HG gelobt Abstinenz: »Ich wollte Dir zeigen daß ich in unserem Beruf mit eigenen Ideen erfolgreich sein kann, aber ich sehe, daß ich mich noch
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