Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
schüttelte den Kopf. »Aber meine Haarfarbe war früher blond, nicht dunkelblond, nicht platinblond und ganz sicher nicht rotblond. Tut mir leid.«
Albert warf einen Blick durch das viergeteilte Fenster. Fred lag flach auf dem Bauch, sein Kopf ruhte auf dem Lexikon, er lag da wie ein von hinten Erschossener.
»Was hast du in der Kanalisation gesucht?«, fragte Klondi.
»Die Wahrheit.«
»Aber, mal ehrlich, willst du sie tatsächlich finden? Oder nur deine Version davon?«
»Es gibt immer nur eine Wahrheit. Das hat Wahrheit so an sich.«
»Ich habe gehört«, sagte Klondi, ohne auf seinen Kommentar einzugehen, »dass Dickens und Rowling bei Waisenkindern besonders beliebt sind.«
»Was hat das denn jetzt damit zu tun?«
»Solche Geschichten können falsche Erwartungen wecken«, mit den Fingern stocherte sie in dem Aschenbecher herum, »wer ist schon ein Harry Potter oder ein Oliver Twist? Wer findet schon etwas Besonderes über sich heraus oder entwickelt irgendwelche übernatürlichen Fähigkeiten? Die meisten Waisenjungen sind keine Prinzen und auch keine Zauberlehrlinge, sie sind einfach Jungen, die weniger Liebe abgekriegt haben als andere.«
Albert wusste das natürlich, und dennoch tat es weh, das so direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen. Worauf wollte Klondi hinaus? Er fragte sich, ob es nicht an der Zeit war zu gehen.
Klondi drückte die Zigarette aus. »Ich kann dir vielleicht sagen, wer deine Mutter ist.«
Albert hustete.
»Ich sagte: vielleicht.« Sie lächelte ihn mitleidig an. »Ich will aber nicht, dass du dir zu viel Hoffnung machst.«
»Sorgen Sie sich mal nicht um mich«, sagte er möglichst abgeklärt, vermied es aber, ihr dabei in die Augen zu sehen. Wenn ihn jemand bat, sich keine Hoffnung zu machen, konnte er nicht anders, als sich Hoffnung zu machen.
Ein rauchiges Lachen. »Du wärst ein miserabler Pokerspieler.« Sie beugte sich vor, ihr Stuhl stand wacklig auf zwei Beinen, mit beiden Händen packte sie seinen Kopf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange mit der Narbe vom Räuber-und-Gendarm-Spielen. »Aber kein so übler Sohn.«
Albert schob sie zurück auf alle vier Stuhlbeine, und sie legte los mit ihrer Wahrheit. Dem Sonnenschein, der durchs Fenster hereinfiel, fehlte die Wärme, und in Albert war auch nicht viel übrig. Sein Körper fühlte sich steif an, er fror, aber er war zu müde, um etwas dagegen zu unternehmen. Also hörte er zu.
Klondis Geschichte
Alles begann damit, dass Klondi 1971 ein Mädchen auf die Welt brachte. Sie hatte sich darauf gefreut, wirklich, damals konnte sie es kaum erwarten, das Kind in ihren Armen zu halten. Kurz vor der Entbindung wechselte sie sogar das Krankenhaus, weil, wie sie erst sehr spät feststellten, in jener Klinik, in der es eigentlich passieren sollte, alle Kinder nach der Geburt gewaschen wurden, bevor man sie den Eltern überreichte, und das wollte Klondi nicht, sie wünschte sich, ihre Tochter blutig und glitschig im Arm zu halten, wenn schon, denn schon, und deshalb nahmen ihr Mann Ludwig und sie noch einmal ein Taxi und riefen dem Fahrer zu: »Das nächste Krankenhaus!« Und der antwortete: »Aber hier ist doch eins!« Und sie warfen alle Geldscheine, die sie bei sich hatten, auf den Beifahrersitz. Und der Fahrer legte den ersten Gang ein.
In diesem nächsten Krankenhaus brachte Klondi also ein Mädchen auf die Welt, es hieß Marina, weil Ludwig sich das gewünscht hatte, Marina, das klang fast wie Mina, so hatte Ludwigs Mutter geheißen. Marina zappelte und schrie, wie sich Klondi das vorgestellt hatte, und Klondi lächelte, weil sie sich fühlte, als hätte sie die zwei Abtreibungen ihres Lebens wiedergutgemacht, oder zumindest eine davon, und sie drückte Marina an ihre Brust und legte eine Hand wie einen Helm um ihren Kopf und roch sie. Es heißt, Babys riechen nicht, aber dieses Baby, Klondis Baby, das roch, irgendwie, nicht gut. Das hatte sie nun davon, dass sie ihre Tochter unbedingt sofort in den Armen hatte halten müssen, dachte Klondi, von dem Geruch hatte keiner was gesagt, alle redeten immer voneinem Wunder, dass ein lebendiges Wesen aus dir schlüpft, dass du, mit ein bisschen männlicher Hilfe, Leben machst, und keiner warnte einen davor, wie sehr dieses Leben stinken konnte. Klondi wollte das ihrer Nase nicht antun, ihr Körper hatte genug durchgemacht, und sie gab Marina der Krankenschwester, damit die mit dem Waschen loslegen konnte. »Machen Sie sie richtig sauber«, bat Klondi und fügte, weil die
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