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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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das habe Ludwig ihr beigebracht,
mondweiß
, und Klondi, die sich Mühe geben wollte, sich als Elternteil einzubringen, sagte, Weiß sei die hellste unbunte Farbe. Mondweiß, meinte Marina, klinge aber viel schöner. An den Schultern war das Kleid mit Rüschen besetzt, das hatte die Schneiderin gemacht. Dafür hatte Marina Ludwig einen Extrakuss gegeben, erzählte sie Klondi, auch wenn das kratzte, weil er sich nicht regelmäßig rasierte.
    Ihre begrenzten Fähigkeiten als Mutter sah Klondi schon darin bestätigt, dass sie gar nicht auf den Gedanken gekommen war, Marina könnte, als sie ihre Tochter »nach Hause« schickte, nicht nach Hause gehen. Bis heute, erklärte sie Albert, stellte sie sich oft vor, was danach geschehen war. Klondi wusste, ihre Tochter war durchs Dorf spaziert und hatte das Kleid allen gezeigt, die sie kannte, und sogar denen, die sie nicht kannte, sie hatte jedem erzählt, ihr Papa habe ihr das Kleid geschenkt, weil er sie so schrecklich lieb hatte, obwohl es eigentlich viel zu alt und groß war.
    Es war Hochsommer gewesen, und weil der Schatten, den die Kirche warf, besonders kühl war, hatte sich Marina vermutlich entschieden, dort hinzugehen. Marina kannte den Weg sehr gut, Ludwig nahm sie immer mit zur Messe. Die Menschen wurden da stets sehr schnell sehr ernst, und Marina fand das komisch. Marina hüpfte am Kircheneingang vorbei und drückte sich gegen die kalten Mauern, vielleicht leckte sie mit ihrer Zunge den Stein, das schmeckte salzig, wie Klondi ihr gezeigt hatte, und das muss der Moment gewesen sein, in dem sie die alte Eiche auf dem Wolfshügel gesehen hatte. Für Klondi, das wusste Marina, war sie der schönste Baum, den es gab, weil er genauso groß war, wie ein Baum groß sein musste, und die Blätter genauso grün waren, wie Blätter grün sein mussten. Vor Marinas Geburt waren Klondi und Ludwig oft dorthin spaziert. Aber nach ihrer Trennung spazierte Klondi vorzugsweise allein. Außerdem hatte sie selbst genug Bäume in ihrem Garten.
    Marina lief zu der Eiche, und sie bekam bestimmt ein drückendes Gefühl im Magen, weil sie wusste, ihre Eltern, insbesondere Ludwig, wollten nicht, dass sie in einem Kleid auf Bäume kletterte, gerade nicht mit dem neuen, mondweißen.Nur, Marina war fünf Jahre alt, sie glaubte daran, dass man von dort oben Wanderern auf den Bergen winken konnte und Seefahrern auf dem Meer, sie musste ja nur vorsichtig sein, und dann passierte auch nichts. Und schon kletterte Marina auf die alte Eiche, sie wusste genau, welche Äste sie trugen und wie sie am schnellsten in die Baumkrone gelangte. Marina hatte Talent zum Klettern. Im Nu erreichte sie die dünnen Äste und blickte sich um und war so hingerissen vom bunten Leuchten der Kirchenrosette auf dem Segenhügel gegenüber, dass sie den Pfarrer nicht bemerkte, der soeben die Kirche verließ, mit einer abgewetzten Aktentasche unterm Arm. An derart heißen Tagen ging er, wie Klondi aufgefallen war, mit gebeugter Haltung, doch an diesem Nachmittag stolperte er, wie er später erzählte, als er auf seine Schnürsenkel trat, und nachdem er sie neu gebunden hatte und sich erhob, entdeckte er bei dieser Aufwärtsbewegung Marina in der Baumkrone der Eiche, viel zu weit oben, ließ vor Schreck die Aktentasche fallen, rannte los und rief so laut er konnte, sie solle herunterkommen.
    Zuerst hörte Marina ihn nicht. Aber dann, als ein Schrei des Pfarrers, der sich mittlerweile in der Senke zwischen Segen- und Wolfshügel befand, an ihr Ohr drang, drehte sich Marina ruckartig um. Worauf zwei Äste abknickten. Der, an dem sie sich mit einer Hand festgehalten hatte, und der, auf dem sie stand. Der Pfarrer erreichte die Eiche. Marina fiel mit einem kurzen, hohen Schrei. Und blieb hängen. Die Rüschen an den Schultern ihres Kleides wurden von einem Ast aufgespießt, Marina baumelte wie eine reife Frucht im Wipfel der Eiche. Jene Schneiderin, die ein Brautkleid zu Marinas mondweißem Kleid gemacht hatte, sollte sich später Vorwürfe machen, die altmodischen Rüschen hätten so angenehm nach getrocknetenBlumen gerochen, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, einen solchen fast antiken Stoff zu ersetzen.
    Als die Rüschen rissen, schrie Marina kein zweites Mal. Vielleicht, weil sie annahm, sie wäre mit dem Schrecken davongekommen. Sie fiel wenige Meter vor dem Pfarrer zu Boden.
     
    Zur Beerdigung tummelte sich die gesamte Gemeinde auf dem Königsdorfer Friedhof, der noch nie so belebt gewesen war. Klondi wusste

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