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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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dem die Kirche mit ihrem Zwiebelturm zwischen Königsdorfer Bauernhäusern hervorstach, umlagerte eine flache Moorebene, auf der man in den fünfziger Jahren den Segelflugplatz errichtet hatte.
    Die vom Morgentau noch feuchte Straße, auf der er hergekommen war, führte an der Scheune vorbei ortseinwärts. Aus der entgegengesetzten Richtung näherte sich ein sonnengelber New Beetle, wurde langsamer und hielt einige Meter entfernt. Der Motor wurde abgestellt, die Fahrertür aber nicht geöffnet. Albert kam sich vor wie in einer Filmszene eines oberbayerischen Mafiastreifens. Violet wollte offenbar, dass er zu ihr kam. Er tat ihr den Gefallen. Sie hatte den Kopf weggedreht, er musste an die Scheibe klopfen und sie ließ sich Zeit damit, diese herunterzufahren, und wandte ihm ihr Gesicht nur halb zu, als wäre sie nicht extra wegen ihm nach Königsdorf gekommen, als würde sie jeden Samstagmorgen früh aufstehen und durch Moornebel zum Segelflugplatz fahren, als hätte sie nicht die ganze Nacht wachgelegen und gemutmaßt, was so wichtig sein konnte, dass er es ihr nicht am Telefon hatte mitteilen wollen.
    »Hallo, Albert«, sagte sie, sah ihn an und wieder weg.
    Albert konnte sich das nicht erklären, aber nun, als er sie nach so langer Zeit wiedersah, zweifelte er, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, sich damals nicht mehr zu melden. Zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, er war nicht bloß froh, sie zu sehen, er war glücklich; er wollte sie umarmen.
    »Hallo«, begrüßte er sie, unsicher, ob er sie bitten sollte,aus dem Auto zu steigen, weil er nicht glaubte, dass sie es tun würde. Aus seiner Perspektive konnte er nur ihre linke, weiße, glatte Wange sehen.
    »Albert«, sagte sie und umkrallte das Steuer, »warum bin ich hier?«
    Er legte eine Hand auf den Seitenrahmen des Beetle. Vielleicht war das ein Anfang: »Schön, dass du da bist.«
    »Findest du das hier schön?« Sie deutete auf den Segelflugplatz. »Mich erinnert es daran, dass ich dir mal zwei Tickets geschenkt habe, die wir nie benutzt haben.«
    »Scheiße. Daran hab ich gar nicht gedacht.« Albert zog seine Hand zurück. »Geht’s dir gut?«
    Violet sah ihn an, diesmal aber nicht wieder weg: »Total super.«
    Ihre richtige Antwort las er in den geröteten Augen.
     
    Am Tag zuvor, fünfzehn Minuten ehe sein Anruf sie erreicht hatte, war Violet auf dem Weg ins Büro gewesen. Sie hatte mit dem Firmenwagen, einem Jeep Cherokee, im Stau gestanden, zig Einbahnstraßen vom Parkplatz der Produktionsfirma entfernt, an einem Freitagabend. Es war eine dieser einsamen Situationen, in denen Gedanken an Albert auftauchten, die sie fortzujagen versuchte, indem sie laut »Violet!« zu sich sagte. Doch das half nicht, und deshalb steuerte sie den Wagen auf die rechte Spur des Münchner Rings, bog ab, ohne zu blinken, und hielt an einer Zapfsäule. Sie stieg nicht aus; der Tank war zu zwei Dritteln voll. Ihre rechte Hand umklammerte die angezogene Handbremse. Der Kaugummizimtgeruch der letzten Autoreinigung stieg ihr in die Nase und sie fuhr das Fenster herunter und atmete Benzinaroma. Auf dem Schild, das an der Sonnenblende des Jeeps befestigt war, las sie zum hundertstenMal
K&P Commercial
– die Werbeproduktionsfirma, zu der ihr Vater einen guten Draht besaß, was ihr geholfen hatte, ohne ein Bewerbungsgespräch einen der Praktikumsplätze zu ergattern, nach denen sich jeder zweite Student der Medien- und Kommunikationswissenschaften sehnte. Wieso dem so war, konnte sie nicht nachvollziehen. Die meiste Zeit verbrachte sie damit, Schauspieler, Kameraleute, Regisseure, die Freunde des Produzenten oder klappernde Filmrollen durch München zu kutschieren. Das sollte ihr beim »Kontakten« helfen, hieß es. Da sie ihren Führerschein erst vor einem halben Jahr erhalten hatte, war sie mehr als ausgelastet damit, gleichzeitig die Google-Fahrtanweisungen zu studieren, zu schalten und zu steuern, auf Verkehrsschilder zu achten sowie auf Einbahnstraßen, die unerfahrene Autofahrer in München schneller als man denkt an abgelegene Orte führen konnten, weshalb Violet bereits zweimal im Büro anrufen und, mit einem Kloß im Hals, um Hilfe hatte bitten müssen. Und dann noch nebenbei »kontakten«?
    Als sie die Praktikumsstelle einen Monat nach dem Abitur angetreten hatte, war sie davon ausgegangen, die Menschen bei
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seien klüger, interessanter, aufgeschlossener   – in irgendeiner Form weiter als die Werbung, die sie fabrizierten. Eine

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