Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
sind selektiv in unserem Sozialverhalten, und wenn das für Freundschaften und Lebenspartner gilt, wäre es nur rückständig zu behaupten, es sei herzlos, dasselbe Prinzip auf Kinder anzuwenden. Mütter müssen längst nicht mehr alles willenlos akzeptieren, was ihnen vorgesetzt wird!
»Sind es keine neunzigtausend Minuten mehr?«, fragte Fred.
»Vielleicht ein paar weniger«, schaltete sich Albert nun doch ein, um des Friedens willen.
Violet lächelte in den Rückspiegel.
Klondi verdrehte die Augen, dann sagte sie: »Fred hat mir von euch erzählt. Wie lange seid ihr schon zusammen?«
Für den Bruchteil einer Sekunde überquerte der Beetle den Mittelstreifen.
Albert sah Klondi in die Augen und schüttelte den Kopf.
Sie hob beide Augenbrauen. »Oh. Was ist passiert?«
Darauf antwortete Albert nicht, und zu seiner Erleichterung schwieg auch Violet.
Fred sagte: »Meine Nase kitzelt.«
Für die Ablenkung war Albert ihm dankbar.
Klondi und Violet gleichzeitig: »Dann kratz sie.«
Albert sah geradeaus und wurde wieder einmal daran erinnert, dass Fred zu den wenigen Menschen zählte, aus deren Hinterkopf er nicht schlau wurde. Zwei sich einander entgegengesetzt drehende Haarwirbel verliehen ihm eine aristokratischeNote, die sonst nie zum Vorschein kam; dafür war Fred viel zu viel Fred.
Violet schaltete einen Gang hoch. »Waren Sie schon einmal in Sankt Helena?«
»Ich?«, fragte Klondi.
»Sie«, sagte Violet.
»Noch nie«, antwortete Klondi und zeigte ihre Zähne im Rückspiegel, den Violet rasch, ohne hinzusehen, nach rechts drehte und damit Klondi aus dem Spiegelbild entfernte: »Haben Sie Kinder?«
Albert entging nicht, wie Klondis Kinn, bevor sie verneinte, für einen Augenblick zitterte, und er musste an ihren Exmann, den Busfahrer Ludwig, denken und an ihre Tochter im mondweißen Kleid.
Violet warf einen Blick nach hinten: »Ist irgendwas?«
»Nein«, sagte Klondi, »nein, nein.«
Albert warf ein: »Wie läuft eigentlich dein Praktikum?«
Sie hatten, seitdem sie aufgebrochen waren, noch keine Gelegenheit gehabt, darüber zu reden.
Violet stellte den Rückspiegel zurück und räusperte sich. »Total super.«
»Das freut mich.«
»Ja, mich auch. Ich lerne viele spannende Leute kennen. Ist toll.«
»Meine Nase kitzelt«, sagte Fred.
Albert: »Dann kratz sie.«
Der Wagen verließ den Wald und Violet ging nicht vom Gas, als sie ein Ortsschild passierten, sodass Albert die zweite Hälfte des Namens entging:
Bic-
. Er war immer mit dem Zug nach Sankt Helena gereist, plus einige Kilometer mit dem Bus. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie nicht nach Sankt Helena fuhren,sondern an einen unbekannten Ort. Sein Verstand sagte ihm, er solle Ruhe bewahren; zwei, drei Stunden noch, dann wären sie da und er würde Schwester Alfonsa aufsuchen und sie würde ihm mitteilen, was es mitzuteilen gab, und danach würden sie den Heimweg antreten. Das war alles.
»Meine Nase …«, sagte Fred, und sein Kopf kippte zur Seite.
Ein fremder Mann
Violet bremste mitten auf der Straße. Albert kippte, wie Klondi, zurück in den Sitz; beide hatten sich vorgebeugt, um nach Fred zu sehen, dessen gestraffter Gurt ihn in aufrechter Lage hielt. Violet wollte am Türgriff ziehen, ohne auf den Gegenverkehr zu achten, und Klondi schrie auf und verhinderte, dass Violet ausstieg und von einem Kleintransporter erfasst wurde, der sie hupend passierte. Albert gelang es nicht auf Anhieb, seinen Gurt zu lösen, Klondi musste ihm helfen. Hintereinander sprangen sie aus der Fahrertür. Albert umrundete als Letzter den Beetle, drängte Violet beiseite, riss am Türgriff und sah das Blut, es strömte aus Freds Nase, es floss über seine Lippen, sein Kinn, den Hals hinab und färbte sein Hemd rostrot.
»Fred?«, sagte Albert, und lauter: »Frederick?«
Keine Reaktion.
Albert beugte sich über ihn und löste seinen Gurt. Eine Hand legte sich auf seinen Rücken und er hörte jemanden fluchen– aber nur weit entfernt. Hier, in seinem Kopf, dröhnte sein Herzschlag und der metallisch-süße Geruch von Blut stieg ihm in die Nase und er wusste, es war so weit. Fred starb.
Kleine, grobe Hände packten seine Schultern und zogen ihn nach hinten und er atmete frische Luft. Klondi ohrfeigte ihn und spie einen Wortschwall in sein Gesicht: »ReißdichzusammenAlbertreißdichverdammtnochmalzusammen!« Dann ließ sie ihn stehen und hievte Fred mit Violets Hilfe aus dem Wagen. Gemeinsam schleiften sie ihn zum Bordstein und legten ihn aufs
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