Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
wie du gekrabbelt, wie du gegangen bist. Wie du geredet hast.«
»…«
»Tut mir leid.«
»Ich hätte auch gern ein Regal voller Kassetten wie du. Ob schlimme oder gute Vergangenheit, wäre mir nicht so wichtig. Wenigstens wäre es eine.«
»Das Letzte, was du möchtest, sind schlechte Erinnerungen.«
»Woher willst du das wissen? Die meisten Teile deines Lebens kannst du nicht nur ansehen, wann du willst, sie sind auch gut, sie sagen: Schau her, Violet, du hast ein ziemlich gutes Leben.«
»Wir könnten nach deiner Geschichte suchen.«
»Das habe ich mehr als einmal versucht.«
»Irgendwo in diesem Haus muss es –«
»Ein Haufen Hänselbrösel.«
»Ein Haufen was?«
»Hänselbrösel. Du folgst ihnen, weil du denkst, sie helfen dir, den Wald zu verlassen. Dabei führen sie dich immer tiefer hinein. Bis du den Tag nicht mehr von der Nacht unterscheiden kannst. Und dann hört ihre Spur plötzlich auf.«
»Zusammen geht man nicht so schnell verloren.«
»Oder sehr viel schneller.«
»Du lebst schon wieder in deinem Kopf.«
»Den meisten Menschen täte es ganz gut, mehr in ihrem Kopf zu leben. Sie würden weniger Schaden anrichten.«
»Wir würden das schon schaffen.«
Die Hand des Jungen verdunkelt das Bild.
»Was ist?«
»Das reicht.«
»Wieso?«
»Mach das jetzt bitte aus.«
16. November 2001
Violets schlanke Beine verschwinden in schwarzem Wasser. Kein Fuß sichtbar. Insektenschwärme. Plätschern. Rissschwenk: Albert sitzt am Ufer, in einen Mantel gehüllt. Pinien. Gestrüpp. Nackte Wurzeln.
Violets Stimme aus dem Off: »Komm rein!«
»Es ist scheißkalt.«
»Ich helf dir, warm zu werden.«
»Bin kein Wassermensch.«
»Du gehst mit Fred schwimmen.«
»Er ist ein Wassermensch.«
»Ich liebe das Gefühl, nicht zu wissen, was um mich herum ist. Was unter mir ist.«
»Genau das Gefühl kann ich nicht leiden.«
»Dann lass mich dir helfen. Lass mich Fred ein paar Fragen stellen.«
»Wegen früher?«
»Er muss wissen, wer deine Mutter ist.«
»Ich habe dir doch gesagt, ich habe schon alles probiert.«
»Vielleicht würde ich etwas sehen, das dir entgangen ist.«
»Versprich mir, dass du es nicht machst.«
»Albert.«
»Violet.«
»Versprochen.«
»Können wir jetzt gehen? Mir ist kalt.«
7. Dezember 2001
Heranzoomen an ein Ledersofa mit Metallrahmen. Alberts nackter Rücken. Weiß und sommersprossig. Vor ihm eine Stereoanlage von Bang & Olufsen. Kein Staubkorn auf der spiegelnden Oberfläche.
Violets Stimme aus dem Off: »Hey!«
Albert schreckt zusammen, dreht sich um. »Dachte, es wären deine Eltern.«
»Entschuldige.«
»Muss das sein?«
»Ich könnte dich stundenlang filmen.«
»Du
könntest
? Fällt mir manchmal schwer, an dich zu denken, ohne das Ding in deinem Gesicht.«
»Du brauchst keine Angst davor zu haben. Bloß, weil du es nicht kennst.«
»Damit hat das nichts zu tun. Ich würde dir einfach gerne ab und zu in die Augen sehen.«
»Irgendwann wirst du mir dankbar sein.«
»Ich brauche keine Aufnahmen, um mich erinnern zu können, wie es war.«
»Du denkst also, ich bin einer dieser Menschen, die die Bilder in Museen abfilmen, um dann erst zu Hause festzustellen, was sie gesehen haben?«
»Schalt es bitte aus.«
23. Dezember 2001
Körniges Grau. Stöhnen. Atmen. Violets Stimme aus dem Off: »Warte.« Ein Schlag gegen das Mikro. Schlieren. Flug über bloße Schenkel. Alberts haarlose Männerbrust.
Sein kalter Blick. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Wäre doch –«
»Mach es aus.«
»So ein Video wünsch ich mir zu Weihnachten.«
»Sehr witzig. Ich mag das nicht.«
»Denk doch einfach nicht dran.«
»Violet!«
21. Januar 2002
Freds Profil. Verschwommene Umrisse braun-grüner Wolken hinter ihm – eine Weltkarte.
Violets Stimme: »Okay. Kann losgehen. Wie heißt du?«
»Du weißt doch, wie ich heiße, Violet.«
»Natürlich. Aber wenn andere Leute das hier sehen, dann wollen sie bestimmt deinen Namen erfahren.«
»Die meisten anderen Leute wissen, dass ich Frederick Arkadiusz Driajes bin.«
»Und wer hat dir den Namen gegeben?«
»Mama.«
»Kannst du dich gut an sie erinnern?«
»Ich kann mich an alles erinnern.«
»Gut, also … was hat sie gesagt, als Albert noch ein Baby war?«
»Mama hat gesagt, Albert ist ein Liebster Besitz.«
»Das weiß ich schon.«
»Warum fragst du dann?«
»Unwichtig. Fred, kennst du eine Frau, die rote Haare hat, wie Albert?«
»Mama sagt, die Natur sagt, dass Rot
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